Zugegeben: Für das Klimaforum Bau als materialunabhängige und innovationsoffene Plattform ist das fast schon ein reißerischer Titel. Schließlich beschäftigen wir uns genauso mit spannenden Entwicklungen bei den Betonverbundwerkstoffen, die an vielen Stellschrauben an einer CO₂-Reduktion arbeiten. Nichtsdestotrotz ist Beton nach wie vor der meistverwendete Baustoff und der energieaufwändige Zement als Basis ist für ganze acht Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Deshalb stellten wir im Fachworkshop am 10. November 2021 die Frage: Sind ökologische Baustoffe wie Hanf, Lehm oder Stroh im Hochbau konkurrenzfähig? Drei Fachexperten gaben Einblick in Ihre Arbeit und stellten sich in der Diskussion Fragen und Antworten.
Kreislaufgerechtes Bauen mit Hanf
M. Sc. Felix Drewes ist verantwortlich für Projektentwicklung und Kommunikation im Hanfbau-Kollektiv. Das Hanfbau-Kollektiv pflegt ein großes Netzwerk mit Partnern der Hanfindustrie, mit dem Ziel einer „enkeltauglichen Hanf- und Bauwende“. Er warf zuerst einen einführenden Blick auf den Problemraum: Ca. 40 Prozent des Mineralienverbrauchs und 20-30 Prozent der Abfallproduktion kommen aus der Bauindustrie. Die Rezyklierung von Beton beschränkt sich eher auf die Herstellung von Brechsplit, als zur Gewinnung eines qualitativ gleichwertigen Produkts. Technische Materialien, welche als Bauschaum, Dämmung oder Dichtungsfolien zum Einsatz kommen, führen zum „Größten Sondermüllberg der Geschichte“. Ausdünstungen von Farben und Klebern beeinträchtigen darüber hinaus während der Nutzungsphase die Luftqualität. Um diesem Problem zu entgegnen, müssen also Produkte entwickelt bzw. eingesetzt werden, welche einerseits vollständig rezyklierbar sind, andererseits aber auch biobasiert und nachwachsend erzeugt werden können.
Die Circular Bioeconomy vereint diese beiden Ansätze und strebt den Aufbau einer Ökonomie auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen an. Darüber hinaus müssen diese Produkte einfach gewartet und repariert werden sowie qualitativ und preislich mit bestehenden, kohlenstoffintensiven Produkten konkurrieren können. Ein Material, welches diesen Ansprüchen genügen könnte, ist Hanf.
Widerstandsfähig, anspruchsarm, schnellwachsend: Hanf als Nutzpflanze
Ein besonderes Merkmal dieser Pflanze ist die tiefe Pfahlwurzel, wodurch die Pflanze sehr widerstandsfähig wird und auch tief liegende Wasservorräte nutzen kann. Hanf gedeiht in fast allen Klimazonen und benötigt im Vergleich zu anderen Nutzpflanzen weniger Dünger und Pestizide. Sie fungiert gut als Zwischenfrucht und ist aufgrund des schnellen Wachstums innerhalb von 3 bis 4 Monaten erntereif. Hanf bindet durch die tiefen Wurzeln viel CO₂ im Boden und dient damit zusätzlich der Dekontaminierung. Der Einsatz von Hanf als Baustoff muss dabei nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen. Viel mehr können die Samen und Blüten weiterhin zur Herstellung von Ölen, Nahrungsmitteln oder anderen Produkten genutzt werden, während der Bausektor lediglich den Stängel verarbeitet.
Genau aus diesem Stängel können bereits heute eine Vielzahl von Bauprodukten hergestellt werden. Darunter sind beispielsweise Stopfhanf bzw. Dämmwolle, Trittschalldämmung, Schallabsorptionsplatten und Dichtungsbänder. Aber auch tragendes Hanfholz oder Schüttungen können aus diesem Stängel hergestellt werden. Im Rahmen des Vortrags wurde insbesondere auf Hanfkalk eingegangen. Dieser wird hergestellt, indem aus dem Stängel gewonnene Schäben mit Kalk vermischt werden. Je nach Anwendungsgebiet können diese Schäben auch mit Lehm vermengt werden. Hanfschäben können aufgrund ihrer porösen Struktur Wasser aufnehmen und schaffen so ein vorteilhaftes Raumklima. Weiterhin besitzen diese Mischungen gute Dämmeigenschaften. Dabei wird der Wärmedurchgang durch die Schäben reduziert und durch den Lehm eine thermische Pufferwirkung erzeugt. Hanfkalk kann dabei direkt auf der Baustelle (in situ) zwischen zwei Schalbretter eingeschüttet werden. Weiterhin kann dieser eingeblasen oder direkt als vorgefertigte Blöcke bezogen werden. Auch vorgefertigte Hanfkalkpaneele als Wandelemente sind bereits am Markt verfügbar.
Vor- und Nachteile von Hanf-Baustoffen
Der besondere Vorteil ist, dass der Hanfkalk nach der Nutzungsphase erneut verwendet werden kann. Aus altem Hanfkalk lässt sich direkt neuer in gleichbleibender Qualität herstellen. Falls es nicht zu einer Nachnutzung kommen kann, so kann der Baustoff direkt als Kompost oder zum Mulchen als Bodenneutralisator genutzt werden. Hanfkalk ist zu 100 Prozent biologisch abbaubar und rezyklierbar. Hitzeschutz, Schallschutz und hohe Feuerresistenz sind weitere Vorteile. Das Einsatzgebiet wird jedoch dadurch beschränkt, dass Hanfkalk nicht lastabtragend eingesetzt werden kann und somit ein Ständerwerk oder ähnliches benötigt wird. Ein weiterer Nachteil ist der Aushärteprozess, wodurch längere Aushärtezeiten und Temperaturen beachtet werden müssen (Umsetzung ca. von April bis Oktober). Die Kosten sind momentan noch höher als bei konventionellen Baustoffen. Dies liegt einerseits an der noch fehlenden Bepreisung der ökologischen Wirkung und andererseits an der noch geringen Produktionskapazität. Diese Engpässe in der Wertschöpfungskette führen zu einer geringen Produktivität und höheren Initialkosten beim Bauen mit Hanf. Mangelndes Wissen, ungewohnte Eigenschaften und Prozesse (zum Beispiel Trocknungszeiten) sowie unzureichende Regulierungen sind zusätzliche Herausforderungen bei der Umsetzung von Bauwerken aus Hanf.
Im Anschluss wurden unterschiedliche Beispielprojekte – von ersten Tiny Houses bis zu einer Brauerei vorgestellt und Rückfragen aus der Zuhörerschaft beantwortet. So wurden Detailfragen zu Trocknungszeiten, Anbaumethoden, Unterschieden zwischen den Einsatzmöglichkeiten von Hanflehm und Hanfkalk sowie auch Dauerhaftigkeit, Witterungsbeständigkeit oder dem seriellen Bauen beantwortet. Insgesamt war der Vortrag ein Weckruf zu mehr Mut und Neugier beim Einsatz neuer, nachhaltiger Materialien im Bauwesen und gab einen hochinteressanten Einblick in das Bauen mit Hanfprodukten.
Lehmbaustoffe in aktuellen Großprojekten
Als zweiter Referent gab Ulrich Röhlen, Technik- und Vertriebsleitung bei CLAYTEC GmbH & Co. KG, einen Überblick über den aktuellen Stand des Bauens mit Lehm. Der Fokus lag auf der Vorstellung des Materials und seiner Einsatzgebiete sowie der Präsentation einiger von der Firma Claytec begleiteten Großprojekte.
Mischungen aus Stroh und Lehm wurden bereits vor 5000 Jahren eingesetzt, wie Mauern aus der Stadt Uruk eindrucksvoll beweisen. Diese Mauern bestehen noch heute. Bei ausreichendem Schutz stellt Lehm also eine robuste und dauerhafte Lösung dar. Weitere Argumente, diesen Baustoff einzusetzen, sind dessen gute gesundheitliche Eigenschaften. So kann bei der Gewinnung und Verarbeitung – anders als bei vielen konventionell verfügbaren Bauprodukten – auf Lösungsmittel oder andere Chemikalien verzichtet werden. Durch die große innere Oberfläche des Lehms sowie die elektrostatischen Eigenschaften zieht Lehm Moleküle an und bindet sie. So können Gerüche gebunden werden und Feuchtigkeit aufgenommen und gleichmäßig wieder abgegeben werden, wodurch ein angenehmes Raumklima entsteht. Die hohe Attraktivität der Lehmoberflächen sowie deren optisches und haptisches Erlebnis sind weitere Verkaufsargumente.
Langlebig und fest ohne aufwändige Aufbereitung
Die ökologischen Vorteile entstehen insbesondere durch die einfache Gewinnung von Lehm. Der Baustoff kann eins zu eins, also ohne physikalische Änderungen bzw. chemische Umwandlungen verwendet werden. Der Energieverbrauch ist entsprechend gering, da eine Aufbereitung (beispielsweise Brennen) nicht notwendig ist. Die Langlebigkeit ist hoch und das Material kann nach seiner Nutzungszeit direkt verwendet werden, um damit erneut zu bauen. Die Festigkeit des Lehms beträgt ca. 4 N/mm². Dies reicht im Regelfall für ein breites Anwendungsspektrum aus. Baufeuchter Lehm hat mit ca. 0,007 kg CO2-äq pro kg Putzmörtel ein weitaus geringeres Treibhauspotential als Kalkputz, Zement oder Gips mit ca. 0,12 bis 0,21 kg CO2-äq/kg.
Lehm besitzt ein breites Anwendungsspektrum von Mauerwerksbau, Stampflehmbau, Lehmputzen, Fachwerksanierungen (Ausfachungsmauerwerk) bis zum Lehm-Trockenbau. Dabei hat der Lehm-Trockenbau das größte Marktpotential, wie Röhlen berichtet. Erdfeuchter Lehmputz ist in unterschiedliche Farbräumen – von sehr weißen bis rötlichen, braunen oder schwarzen Erdfarben – verfügbar. Diese Farben können aus einer einzigen Lehmabbaugrube gewonnen werden, wie Bilder einer bunten Lehmabbaugrube eindrucksvoll zeigten. Aus den bestehenden Lehmbauprodukten und durch Variationen der Plattenstärke können – je nach Anwendung – unterschiedliche Wandaufbauten realisiert werden. Durch ein Ausmauern mittels Lehmbausteinen kann die thermische Wärmespeicherung noch weiter erhöht werden.
Beispiele aus dem öffentlichen Gebäudebau
Lehmbau kann allerdings nicht nur im privaten Wohnungsbau genutzt werden. Wie einige Beispiele Herrn Röhlens eindrucksvoll beweisen, ist der Lehmbau bereits im stärker regulierten öffentlichen Gebäudebau angekommen. Eines der ersten Großprojekte der Firma Claytec war 2009/2012 der UN-Campus in Bonn (Klimareferat der Vereinten Nationen). Der Umbau des Gebäudes aus dem Jahr 1953 wurde unter dem Bauherrn „Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung“ realisiert. Insgesamt wurden 13.000 m² Lehmbauplatten eingesetzt.
Als weiteres Projekt – nach ca. 9 Jahren Entwicklungsgeschichte – wurde das Neue Kreisarchiv in Viersen in enger Zusammenarbeit mit dem deutsch-niederländischen Konsortium “Healthy Building Network” umgesetzt. Der Archiv-Speicher wurde aus Beton/Ziegel hergestellt und mit einem Lehmputz versehen, die Arbeitsräume wurden mit Lehmbauplatten und Yosima Lehm-Designputz ausgestattet.
Weitere vorgestellte Projekte betreffen den Bau eines Straßenverkehrsamts mit Förderschule, welches sich insbesondere hohe Anforderungen an Schall- und Brandschutz stellte, sowie das Stadtwerk Nettetal mit ca. 1.400 m² Lehmbauplatten und die Genossenschaftssiedlung Auenweide ca. 3.000 m² Lehmbauplatten. Für das Ministerialgebäude in Dresden wurden bspw. Lehmputze geliefert für ein Deckenheiz- und -kühlsystem.
Größere Nachfrage, Erschließung weiterer Gruben: Preise sinken
Im Anschluss an den Vortrag entstand eine rege Diskussion mit interessierten Zuhörenden. So wurde konstatiert, dass der Einsatz von Lehm momentan noch zu erhöhten Baupreisen im Vergleich zu konventionellen Lösungen (beispielsweise durch Gipsplatten) führt, sich das Preisgefüge jedoch momentan bewegt durch die größere Nachfrage und gesteigerte Produktivität. Da die Wertschöpfungsketten und Prozesse zunächst weiter aufgebaut werden müssen, würden künstlich erzeugte Anreizsteigerungen nicht zwingend zu einer erhöhten Adaptionsrate führen. Eine zunehmende Dezentralisierung durch die Erschließung weiterer Gruben würde die Transportwege verkürzen und wäre grundsätzlich erstrebenswert. Geologisch gesehen wäre dies möglich, da Baulehm in ganz Deutschland vorhanden ist. Hohe Investitionskosten für neue Anlagen mit hohem Qualitätsanspruch hemmen jedoch diese Dezentralisierung.
Strohbau – Einführung und Inspiration
Als abschließende Vortragende stellt Valérie Madoka Naito, Architektin sowie Projektleiterin für nachhaltige Wohnungsprojekte und Mitglied im FASBA (Fachverband Strohballenbau), ihre Sicht auf das ökologische Bauen sowie den Strohballenbau in Deutschland vor. Dabei wird unterschieden zwischen einer lasttragenden Bauweise, in welcher Klein- oder Großballen als tragende Elemente eingesetzt werden, und dem Holzständerbau mit Strohdämmung. Insbesondere zweitgenanntes erfreut sich immer größerer Nachfrage bei Bauherren.
Vom Experiment zur kontrollierten Bauweise
Ein wesentlicher Vorteil der Strohballenbauweise ist die Verfügbarkeit des Materials. Durch etablierte Firmen und Zertifizierungsprozesse kann grundsätzlich das “Stroh von nebenan” zertifiziert und somit als Baustroh mit definierten Eigenschaften (Wärmeleitfähigkeit, Brandbeständigkeiten, etc.) zum Bauen verwendet werden. Durch die großen Fortschritte der letzten Jahre insbesondere bei der Zulassung von Stroh als Baustoff wurde der Strohballenbau mittlerweile aus dem Bereich des experimentellen Bauens in eine kontrollierte Bauweise überführt. Verglichen mit Österreich und Frankreich, wo bereits Schulgebäude umgesetzt werden (als Beispiel wird hier Centre de Loisirs Félix Eboué – Construire Solidaire genannt), ist der Strohballenbau in Deutschland jedoch noch eine Nischenanwendung. Als besondere Herausforderung gilt das Trockenhalten der Baustelle. Um die Eigenschaften des Strohs zu erhalten und einer Schimmelbildung vorzubeugen, muss dieses während des gesamten Bauprozesses trocken gehalten werden. Der Bauablauf und dessen Organisation spielen also eine herausragende Rolle.
Der Vortrag sowie die anschließende Diskussion zeigten, dass der Strohballenbau einsatzbereit ist und auf mutige Architekten und Planer wartet, um diesen weiter zu verbreiten.