Hintergrund

Erfahren Sie, warum der Bausektor eine entscheidende Rolle für den Klimawandel spielt, warum uns weniger Zeit bleibt als anderen Branchen und warum gerade die Konstruktion im Fokus unseres Projekts steht. 

Das Bauwesen und der Klimawandel

Der Errichtung und dem Betrieb von Gebäuden werden weltweit rund ein Drittel aller Treibhausgasemissionen zugerechnet. Die Auswirkungen, die der enorme Ressourcen- und Energieverbrauch sowie Bodenversiegelung und Bauabfälle auf unseren Planeten haben, sind desaströsUm das EU-Ziel des klimaneutralen Europas bis 2050 zu erreichen, muss daher der Ressourcenverbrauch von Gebäuden im gesamten Lebenszyklus dauerhaft weitreichend reduziert werden. Dies ist eine gewaltige Herausforderung, die schon in naher Zukunft einen schnellen und radikalen Wandel erfordert. Der Grund für die Zeitnot ist der sogenannte Lock-in-Effekt: Heute getroffene Entscheidungen in Bau oder Sanierung bleiben auf Jahrzehnte unverändert. Nicht zuletzt entstehen Protestbewegungen jüngerer Generationen, die unseren jetzigen Umgang mit Ressourcen infrage stellen. Deshalb sehen wir gerade in Ansätzen zum klimagerechten Planen und Bauen ein wesentliches Handlungsfeld im Kampf gegen den Klimawandel. 

Insbesondere der Bereich der Baukonstruktion von Gebäuden spielt aufgrund der hier gebundenen „Grauen Energie“ in Form der verbauten Materialien eine immer stärkere Rolle. Während erneuerbare Energien, effizientere Geräte, energetische Sanierungen und weitere Maßnahmen den Anteil der Emissionen aus dem Betrieb kontinuierlich senken, scheint die Baukonstruktion in der extrem energie- und ressourcenhungrigen Stahlbetonbauweise bisher alternativlos. Allein die Zementindustrie ist für acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. 

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Projizierter Trend der Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus von Gebäuden hinsichtlich Umfang und Aufteilung, Quelle: Forestry Innovation Investment (2017): Embodied Carbon of Buildings and Infrastructure

Projizierter Trend der Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus von Gebäuden hinsichtlich Umfang und Aufteilung, Quelle: Forestry Innovation Investment (2017): Embodied Carbon of Buildings and Infrastructure

Beschleunigter Innovationsprozess in Reallaboren

Tatsächlich gibt es erste Ideen und innovative Lösungsansätze auch aus der hiesigen Wissenslandschaft, die auf unsere Klimaschutzziele einzahlen. Einsparungen in der Baukonstruktion von Gebäuden und beim Design von Bauteilen lassen sich zum Beispiel mithilfe von neuen und innovativen Betonverbundwerkstoffen oder alternativen Baustoffen wie Holz realisieren. Häufig können diese aber nicht serienmäßig zur Anwendung kommen, weil sie zu wenig bekannt sind oder sich deren praktische Einführung als zu langwierig gestaltet. Im Positionspapier „Haus der Erde“ fordert der Bund Deutscher Architekten daher unter anderem eine „Kultur des Experimentierens“, denn nur „durch Experimentieren und Lernen, durch Navigieren und Korrigieren dieser Ideen entstehen Innovationen, die Angebote für einen ökologischen Verhaltenswandel auf unterschiedlichen Ebenen eröffnen“. 

Bendit TU Dresden
Das Projekt BenDit der TU Dresden ist ein Demonstrator für konstruktiven Holzbau ohne Kleber und Metall (© TU Dresden, Professur für Ingenieurholzbau und baukonstruktives Entwerfen)
Visualisierung des C3 Cube in Dresden
Der C3 Cube in Dresden wird das erste rein aus Carbonbeton bestehende Gebäude (© Visualisierung: Iurii Vakaliuk, TU Dresden, IMB)

Im Innovationsprozess baut ein Experiment auf dem anderen auf und akkumuliert so auf Dauer Wissen. Um aber die Forschungszyklen im Baubereich auf das dringend benötigte Tempo zu beschleunigen, bedarf es eines Modells der Sprunginnovationen, vergleichbar mit dem digitalen Sektor, in dem gewisse Innovationsschritte ausgelassen werden. Hier wird entsprechend neu generiertes Wissen, das auch im Bausektor an vielen Stellen entsteht, in Pioniervorhaben und Modellprojekten stärker forciert. Folglich wird die Entwicklung dadurch signifikant beschleunigt. Weil Experimente im Bausektor aber mit einem ungleich höheren Risiko einhergehen als klassische Laborexperimente, sind Reallabore notwendig, in denen gesetzliche Rahmenbedingungen definiert angepasst und Versuche wissenschaftlich begleitet werden. Gleichzeitig machen Beteiligte in Reallaboren und schlussendlich die gesamte Branche praktische Erfahrungen, die wiederum zur Verbesserung der Lösungsansätze führen. Des Weiteren werden positive Geschichten produziert, die es ermöglichen, die Gesellschaft für den Transformationsprozess zu gewinnen. 

Erkenntnisse zugänglich machen

Dieses Vorgehen verlangt von allen beteiligten Akteur*innen mehr Mut, neue Denkmodelle und insbesondere von der (lokalen) Politik ein klares Bekenntnis zu großen Zielvorgaben, zum Experiment und zum notwendigen Risiko. Öffentliche Auftraggeber*innen könnten bis zu fünf Prozent ihres Investitionsvolumens gezielt für Experimente einsetzen, im Bewusstsein des Risikos, mögliche Fehler mit einer Nachfinanzierung wieder einzufangen. 

Diese hohen Anforderungen an die Stakeholder*innen, namentlich öffentliche und private Bauherr*innen, Investor*innen, Genehmigungsbehörden, Planer*innen und ausführende Unternehmen können nur erreicht werden, wenn diese über einen dauerhaften und koordinierten Zugang zu wissenschaftlichen bzw. technologischen Erkenntnissen verfügen und dieses Wissen durch effiziente und nachhaltige Kommunikationswege in Form von Pilotprojekten verstetigt werden kann. Durch eine zielgruppengerechte Wissenschaftskommunikation sowie einen multilateralen Austausch sollen die maßgebenden Akteure in die Lage versetzt werden, Entscheidungen zu treffen, die den Nutzern unserer Infrastruktur einen größtmöglichen Mehrwert bieten und gleichzeitig die Anforderungen an Nachhaltigkeit erfüllen. 

Offene Diskussion über Hemmnisse

Im Rahmen der Projektlaufzeit sollen die Stakeholder*innen systematisch vernetzt und über den aktuellen Stand der Wissenschaft informiert werden. Ziel ist es, gemeinsam Hemmnisse für die Erprobung bzw. Anwendung neuer Technologien zu identifizieren sowie Lösungsstrategien für deren Überwindung zu entwickeln. Dabei muss berücksichtigt und offen diskutiert werden, dass alternative und innovative Baumaterialien bzw. Verbundwerkstoffe nicht nur Vorteile bieten. Deshalb ist es von höchster Relevanz, dass eine gemeinsame Willensbildung zu geplanten Funktionalitäten und dem zugehörigen Einsatz angestoßen wird. Das Spektrum alternativer Baustoffe ist groß und wächst stetig, gleichwohl soll der Fokus zunächst auf Carbonbeton und Holzwerkstoffe gelegt werden, um einen unmittelbaren Einstieg in Lösungsansätze aufzuzeigen und zum anderen nicht Gefahr zu laufen, zu Beginn des Projektes den Überblick zu verlieren. Im Rahmen der Verstetigung werden kontinuierlich weitere Baustoffe und Verfahren vorgestellt.

Betonage gering bewehrter Probekörper im Projekt C3, Foto © Jakob Bochmann/TU Dresden
Betonage gering bewehrter Probekörper im Projekt C3, Foto © Jakob Bochmann/TU Dresden