Lehmbau: Alte Technik mit großer Zukunft

Zwei Studierende an der TU Wien bei Lehmbau-Experimenten; Copyright: TU Wien
Zwei Studierende an der TU Wien bei Lehmbau-Experimenten; Copyright: TU Wien

Lehmbau ermöglicht höchsten Wohnkomfort und lange Haltbarkeit – bei ausgezeichneter Umweltbilanz. Eine Gesetzesänderung könnte dem Lehmbau nun Aufschwung verleihen.

Lehmbau wird leider noch immer oft unterschätzt: Als simple Billiglösung wurde er in vergangenen Jahrhunderten gesehen, für Leute, die sich keine gebrannten Ziegel leisten konnten. Doch das ändert sich heute. Eine gut durchdachte Lehmbauweise, oft auch in Kombination mit anderen natürlichen Baustoffen wie Holz, Stroh oder Hanf, können nämlich ganz besonders hohen Wohnkomfort ermöglichen – mit ausgezeichneter Regulierung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit.

Das Aushubmaterial einer Baugrube besteht oft zu einem großen Teil aus Lehm, der ohne Probleme zu diversen Lehmbauprodukten verarbeitet werden könnte. Dass das bisher kaum passiert, liegt unter anderem an den rechtlichen Rahmenbedingungen: Lange Zeit galt der Aushub der Baugrube automatisch als Abfall und musste entsorgt werden. Nach einem EuGH-Urteil von Ende 2022 ist das nun nicht mehr so – das könnte den Aufschwung des Lehmbaus nun deutlich beschleunigen. An der TU Wien wird derzeit daran geforscht, wie man Lehm für moderne Bauprojekte am besten einsetzen könnte.

Am 24. März findet im Architekturzentrum Wien die Österreichische Lehmbautagung statt, die von der TU Wien mitorganisiert wird. Dort werden Lehmbau-Profis aus der universitären Forschung und der industriellen Praxis gemeinsam diskutieren, wie man den Baustoff Lehm aus seinem Nischendasein befreit.

Bewährte Methode – gut fürs Klima

„Lehm wird überall auf der Welt für Gebäude verwendet – und das seit Jahrtausenden“, sagt Prof. Andrea Rieger-Jandl vom Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege. „Schon beim Grab von Pharao Ramses II wurden Lehmziegel verwendet. Man findet alte Lehmbauten in China, in Südamerika – und auch in Österreich.“ Erst mit dem verstärkten Einsatz von Kohle sanken die Kosten für gebrannte Ziegel – und so setzte sich in unseren Breiten die Ziegelbauweise durch.

Aus Klimaschutzgründen ist das ein Problem: Die Ziegelproduktion ist extrem energieintensiv, noch schlimmer ist der Betonbau – denn bei der Herstellung von Beton hat man zusätzlich zum hohen Energieaufwand auch noch das Problem, dass bei der Umwandlung von Kalkstein in Zement zwangsläufig große Mengen an CO₂ abgeschieden werden. „Zement ist in der Herstellung so CO₂-intensiv, dass die Produktion für ungefähr 8 Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes verantwortlich ist“, sagt Rieger-Jandl. „Bei der Erzeugung von Ziegeln versucht man heute, die CO₂-Emissionen zu reduzieren – bei Beton ist klar, dass prinzipiell keine CO₂-Neutralität erreicht werden kann.“

Höchster Wohnkomfort

Die ausgezeichnete Klimabilanz ist für Andrea Rieger-Jandl aber sicher nicht das einzige Argument, das für Lehmbau spricht: „Wir untersuchen seit Jahren Lehmbauten auf der ganzen Welt und dabei zeigt sich: Man kann mit ungebranntem Lehm einen ganz ausgezeichneten Wohnkomfort erreichen“, sagt Rieger-Jandl. „Ähnlich wie Ziegel können Wände aus Lehm die Temperatur gut speichern – wenn man zum Beispiel im Winter den Raum kurz lüftet, ist er danach sehr schnell wieder warm, weil die Wände nicht auskühlen.“

Der entscheidende Vorteil von Lehm liegt aber in seiner Fähigkeit, die Luftfeuchtigkeit zu stabilisieren: „Lehm kann problemlos Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgeben. Im Badezimmer zum Beispiel beschlagen nach dem Duschen die Spiegel nicht, weil die Feuchtigkeit automatisch reguliert wird. Auch wenn man in einem Lehmhaus Wäsche trocknet, ändert sich die Luftfeuchtigkeit dabei kaum.“ Gleichzeitig lassen sich mit Wänden aus Lehm gute Dämmwerte erzielen – zum Beispiel, wenn man sie mit Dämmmaterial aus Stroh kombiniert.

Game-Changer: Baumaterial direkt vor Ort produzieren

Für die Kosten eines Gebäudes ist heute der Arbeitsaufwand die entscheidende Größe – und gerade in diesem Bereich verändert sich derzeit viel: „Mittlerweile gibt es mobile Lehmverarbeitungsgeräte, mit denen man direkt vor Ort aus dem Aushub der Baugrube die nötigen Baumaterialien herstellen kann“, sagt Andrea Rieger-Jandl. Das ist ein potenzieller Game-Changer für die Bauindustrie: Beim Ausheben der Baugrube entfernt man zunächst einige Handbreit an fruchtbarem Humus – der lässt sich weiternutzen. Darunter befindet sich meist hauptsächlich Schotter und Lehm. Diesen Lehm könnte man dann mit passenden Geräten entweder zu Lehmziegeln pressen und dann ganz ähnlich verwenden wie gebrannte Ziegel – oder man presst den Lehm in speziellen Schalungen zu größeren Modulen, in Dimensionen von ca. 100 x 150 cm.

„Das bedeutet, man verwendet als Rohstoff für das Haus etwas, was man sonst abtransportieren und entsorgen müsste und spart sich den Ankauf und den Transport von Baumaterialien“, sagt Rieger-Jandl. Derzeit ist diese Baumethode noch ungewöhnlich – aber wenn sie erstmals etabliert ist, könnte sie das Bauen deutlich billiger machen.

Gute Planung nötig

Gemäß der neuen deutschen Lehmsteinnorm können mittlerweile Wohngebäude mit bis zu vier Stockwerken mit lasttragenden Elementen aus Lehm errichtet werden. Bei höheren Gebäuden würde man auf Skelettkonstruktionen aus Holz oder Stahlbeton zurückgreifen und sie dann auf energieeffiziente Weise mit wandbildenden Elementen aus Lehmziegeln oder anderen Lehmbaustoffen ergänzen.

„Bei der Planung muss man natürlich einige spezielle Dinge beachten“, sagt Andrea Rieger-Jandl. Lehm sollte niemals von stehendem Wasser durchweicht werden, sonst verliert er seine Tragkraft. Das Fundament eines Lehmhauses sollte also aus anderen Materialien bestehen, mit ausreichender Isolation, um ein Aufsteigen der Feuchtigkeit in den Wänden zu verhindern. Regen ist für Lehmhäuser kein Problem – Stampflehmwände können problemlos der Witterung ausgesetzt werden. Manchmal werden sie auch verputzt oder mit Holz verschalt.

„Prinzipiell ist das kein großes Problem – wenn man grundlegende bauliche Schutzmaßnahmen beim Planen mitbedenkt, ist ein Lehmgebäude praktisch unbegrenzt haltbar. Viele jahrhundertealte Lehmbauten auf der ganzen Welt beweisen das“, sagt Rieger-Jandl. „Und sollte es irgendwo Wasserschäden geben, dann sieht man das meist recht schnell sehr deutlich und kann die Wand reparieren. Man muss also keine Angst haben, dass ein Lehmgebäude plötzlich durchweicht wird und einstürzt.“

ArchitektInnen und BaumeisterInnen müsste man also zunächst für den Umgang mit Lehm einschulen. In der Verarbeitung ist Lehm aber verhältnismäßig unkompliziert. „Der Umstieg von herkömmlichen Baumethoden auf Holzbau ist viel schwieriger als der Umstieg auf Lehmbau“, sagt Rieger-Jandl. „Für den Holzbau braucht man viele speziell geschulte Fachkräfte. Mit Lehmziegeln hingegen kann man im Prinzip ganz ähnlich umgehen wie mit gewöhnlichen Ziegeln.“

Bauvorschriften müssen sich anpassen

Eine große Hürde für den Lehmbau ist heute allerdings noch die baubehördliche Bewilligung: „In Deutschland gibt es bereits gesetzliche Normen für Lehmbau, in Österreich derzeit noch nicht“, sagt Andrea Rieger-Jandl. „Man muss die nötigen baubehördlichen Voraussetzungen schaffen, nur dann wird die Bauindustrie diese Technologie auch in großem Umfang aufgreifen.“

Das neue EuGH-Urteil könnte Reformen in dieser Richtung nun deutlich beschleunigen. Wenn das geschieht, könnte Lehmbau allerdings zur großen Erfolgsgeschichte werden, ist Rieger-Jandl überzeugt. Was in früheren Jahrhunderten die Billig-Alternative für Menschen war, die sich keine gebrannten Ziegel leisten konnten, wird so möglicherweise zur Baumethode der Zukunft, die höchsten Wohnkomfort ermöglicht und dabei auch noch die Umwelt schont.

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