Die Wahl der Baustoffe ist ausschlaggebend für die Nachhaltigkeit eines Gebäudes. Beim Zertifizierungssystem der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) werden fast 60 Prozent des Zertifizierungsergebnisses von den verwendeten Baustoffen bestimmt. Im Interview erläutert Dieter Heller, Geschäftsführer des Bundesverbandes Leichtbeton e.V., warum Transparenz entscheidend ist, um alle Potenziale beim nachhaltigen Bauen zu heben.
Herr Heller, welchen Beitrag leisten Umweltdeklarationen auf dem Weg in die klimaneutrale Baustoffherstellung?
Dieter Heller: Der Bausektor ist für ein Drittel des deutschen Energieverbrauchs und CO2-Ausstoßes verantwortlich. Ein Großteil davon steht in Zusammenhang mit den verwendeten Bauprodukten. Durch die Erstellung von Environmental Product Declarations (EPDs) unterstützt die Mauerwerksbranche Architekten, Ingenieure und Bauherren bei der Planung nachhaltiger Gebäude. Denn auf dieser Grundlage können verschiedene Bauweisen bereits in der Planungsphase bzgl. der ökologischen Qualität verglichen werden. EPDs liefern wichtige Informationen für die Beurteilung der ökologischen Gebäudequalität und sind damit wichtige Eckpfeiler bei der Nachhaltigkeitszertifizierung. Darüber hinaus wirken EPDs aber auch nach innen, weil sie den Herstellern deutlich machen, an welcher Stelle im Produktlebenszyklus noch Optimierungsbedarf besteht.
Geringster Primärenergiedarf, geringster CO2-Ausstoß, 100 Prozent regenerative Energien, fast geschlossene Stoffkreisläufe. Sehr viel Optimierungsbedarf scheint es in der Leichtbetonindustrie nicht zu geben?
Dieter Heller: Der geringe Primärenergiebedarf von 663 Megajoule und einem CO2-Äquivalenzwert von 98 Kilogramm pro Kubikmeter gefülltem Leichtbeton-Mauerstein resultiert in erster Linie aus unserem Herstellungsverfahren, bei dem kein energie- und emissionsintensiver Brennprozess erforderlich ist. Nach ihrer Formung werden die Steine einfach im Hochregal getrocknet. Alle Leichtbeton-Hersteller haben ihre Produktionsgebäude mit Photovoltaikanlagen ausgestattet, der Rest wird ausschließlich mit „grünen Strom“ gedeckt. Komplett geschlossene Stoffkreisläufe werden wir, wenn alles nach Plan läuft, 2023 haben. Optimierungsbedarf besteht noch bei den Bindemitteln, die für einen Großteil unserer CO2-Emissionen verantwortlich sind.
Wie lassen sich die bindemittelbasierten CO2-Emissionen reduzieren?
Dieter Heller: Dies liegt außerhalb unseres Einflussbereichs, sondern muss von den Zulieferern gelöst werden. Wir bemühen uns, den Bindemittelanteil in der Produktion so gering wie möglich zu halten. Unsere Zulieferer arbeiten daran, ihre CO2-Bilanz durch neue Rezepturen zu verbessern. Zum Beispiel, indem der Anteil an Kalk reduziert und durch andere Stoffe ersetzt wird. Den größten Effekt würde ein kompletter Verzicht auf fossile Brennstoffe und der Umstieg auf „grünen Wasserstoff“ haben. Doch bis dieser in ausreichenden Mengen und marktgerechten Preisen zur Verfügung steht, wird vermutlich noch einige Zeit vergehen.
Sie streben bis 2023 geschlossene Stoffkreisläufe an. Ist das realistisch?
Dieter Heller: Innerhalb unserer Werke haben wir das schon geschafft. Anfallende Produktionsrückstände sowie sortenreine Leichtbetonreste von Baustellen werden zu 100 Prozent in den Stoffkreislauf zurückgeführt und können unendlich oft recycelt werden. Grund dafür sind die unterschiedlichen Rohdichten unserer Produkte, die von 350 kg bis 2.200 kg pro Kubikmeter reichen. Zuschläge können somit auf die unterschiedlichen Rohdichten verteilt werden. Die größte Herausforderung ist das Recycling von nicht sortenreinen Leichtbetonresten.
Gemeinsam mit dem Institut für Angewandte Bauforschung arbeiten Sie aktuell an der Entwicklung eines Trennverfahrens zum Recycling von nicht sortenreinem Leichtbeton. Wie ist der aktuelle Stand?
Dieter Heller: Wir sind aus den Laborversuchen heraus und wollen das Ganze in einer Pilotanlage am Markt etablieren, um die Praxistauglichkeit dieses Verfahrens zu beweisen. Kern des Verfahrens ist die Trennung von Leichtbeton-Mauersteinen und Putz. Nach Aufbruch des verputzten Mauerwerkes mit einer Zerkleinerungsmaschine kommt dabei eine sogenannte Attritionstrommel zum Einsatz. Dem Vorgang in einer Waschmaschine nicht unähnlich, wird das Leichtbeton-Putz-Gemisch bei geringer Geschwindigkeit umgewälzt. Aufgrund der unterschiedlichen Zerkleinerungswiderstände kommt es bei den Reibungsvorgängen im Inneren der Trommel zur Trennung zwischen feinem Putzstaub und grobkörnigen Leichtbeton-Partikeln. Dieses Verfahren ermöglicht eine 100-prozentige Rückführung in die Produktion und wird somit einen großen Beitrag zum Recyclen des künftigen Bauschuttaufkommens leisten.
Bislang basieren EPDs auf einer Cradle-to-Gate-Analyse. Ist eine lebenszyklusbasierte Ökobilanzierung nicht längst überfällig?
Dieter Heller: Absolut, in breites Bündnis aus Architekten, Planern und Baustoffherstellern unterstützt die Einführung eines Life Cycle Assessment. Jährlich fallen in Deutschland circa zehn Millionen Tonnen Mauerwerkbruch an. Material, in dem sehr viel graue Energie steckt. Wenn wir dieses Material aufbereiten und wieder in den Produktionskreislauf zurückführen, sparen wir viel graue Energien ein. Klimaneutralität wird nicht ohne eine Kreislaufwirtschaft gelingen. Dies setzt voraus, dass die Umweltwirkungen der verbauten Bauprodukte über den gesamten Lebenszyklus transparent sind. Ab 2023 sollen die EDPs um ein Cradle-to-Cradle-Modul erweitert werden, was die gesamte Mauerwerksindustrie begrüßt. Das erleichtert den Nachhaltigkeitsvergleich der unterschiedlichen Bauweisen. Der Massivbau zählt aufgrund seiner Langlebigkeit, der Wärmespeicherfähigkeit des Materials und einer Wiederverwertungsquote von 94 Prozent zu den nachhaltigsten Bauweisen. Leichtbauweisen, die eine deutlich kürzere Lebensdauer haben und am Ende des Lebenszyklus thermisch verwertet werden, schneiden in Sachen Nachhaltigkeit deutlich schlechter ab.
Was muss die nächste Bundesregierung leisten, damit die klimaneutrale Transformation der Mauerwerksbranche bis 2050 gelingt?
Dieter Heller: Die Wasserstoffinitiative, die wir ausdrücklich befürworten, muss mit Hochdruck vorangetrieben werden. Damit einher geht der Ausbau der erneuerbaren Energien, denn ohne grünen Strom gibt es auch keinen grünen Wasserstoff. Zudem müssen DIN-Normen und Verordnungen so angepasst werden, dass Recycling-Baustoffe uneingeschränkt eingesetzt werden können. Bei allen berechtigen Bemühungen zum Klimaschutz muss aber auch sichergestellt werden, dass umweltgerechte Baustoffe bezahlbar bleiben. Rund 72 Prozent aller Wohngebäude werden mit Mauerwerk erstellt. Weil es die einzige Bauweise ist, die Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit miteinander verbindet. Damit wir auch weiterhin unseren Beitrag zur Schaffung nachhaltigen und bezahlbaren Wohnraums leisten können, brauchen wir entsprechende Rahmenbedingungen. Dazu zählen faire Konditionen bei Emissionshandel, der Energie-Stromsteuer und der EEG-Umlage, KMU-Förderprogramme zur CO2-Senkung sowie ein technologieoffener Wettbewerb.