Regenwasser soll nicht mehr in den Kanal fließen, sondern besser genutzt werden. Darüber haben Fachleute bei einer Tagung am 22. März 2023 diskutiert.
Extrem trockene Sommer und Überflutungen durch Starkregen: Die Gegensätze verschärfen sich auch im Dresdner Elbtal. Unvergessen sind die Jahrhundertfluten 2002 und 2013. Andererseits gibt es extrem trockene Sommer, wie 2018 oder 2019. Dem Deutschen Wetterdienst zufolge gehört der Raum Dresden mit zu den trockenen Gebieten im Land. Er lag als einer der wenigen in Ostdeutschland in den vergangenen oft unter dem langjährigen Durchschnitt von 1961 bis 1990.
Bis Ende des Jahrhunderts soll es noch mehr trockene Tage geben. Schon jetzt regnet es in Sachsen im Vergleich zum Beginn der flächendeckenden Aufzeichnung elf Prozent weniger. Der Grund ist die seitdem um 1,5 Grad gestiegene Temperatur. Wenn im Sommer Niederschlag fällt, soll es mit Starkregen aber häufiger kräftig schütten, so die Prognose. Umso wichtiger ist es, die natürlichen Ressourcen zu nutzen. “Wohin mit dem Regenwasser?” Über diese Frage diskutierten am 22. März 2023 – anlässlich des Tages des Wassers – Fachleute bei einer Tagung in der Dresdner Ballsport-Arena, die die Stadt und die Stadtentwässerung organisiert hatten und zu der 130 Wasserexperten gekommen waren. 230 weitere folgten dem Programm online – darum ging es unter anderem:
Der Trend: Grundwasserpegel sinkt
Die Stadt unternimmt zwar schon einiges, stellte Umweltamtsleiter Wolfgang Socher zum Auftakt klar. Als Beispiele führe er die Festsetzung von Dach- und Fassadenbegrünung in verbindlichen Bauleitplänen oder die Aussagen zu potentiellen Gefährdungen durch Hochwasser oder extremen Starkregen an. Zudem sind mithilfe der Richtlinie „Dresden baut grün“ viele begrünte Dächer entstanden. Als Beispiel führte er das Gründach des Gymnasiums Pieschen an. Aber die Richtlinie gelte eben nur für kommunale Gebäude.
„Wassersensibel zu bauen ist noch die Ausnahme“, erklärte er. Durch den Klimawandel sei der Grundwasserstand gegenüber dem langjährigen Durchschnitt an 81 Prozent der Dresdner Messstellen um bis zu einen Meter gesunken. Deshalb müsse der Grundsatz „Kein Regentropfen in den Kanal“ viel stärker umgesetzt werden.
Die Entwicklung: Fläche von 210 Fußballfeldern neu versiegelt
Jetzt soll gehandelt werden. Deshalb hat die Stadt vor einem halben Jahr die Arbeitsgruppe mit dem markanten Namen „Schwammstadt Dresden“ gegründet, an deren Spitze Dr. Stefan Trülzsch steht. Er ist Teamleiter für Generelle Planung bei der Stadtentwässerung und damit für solche Themen zuständig. Allein in den zehn Jahren zwischen 2012 und 2022 sind in Dresden die versiegelten Flächen um 1,5 Millionen auf 19,3 Millionen Quadratmeter gewachsen, erläuterte er. Die Zunahme entspricht der Größe von 210 Fußballfeldern.
Am Ende bleibe das Problem meistens bei der Stadtentwässerung hängen. Doch dabei sei ein Umdenken nötig. So sollte möglichst das gesamte Regenwasser schon auf Grundstücken zurückgehalten werden. Ein Pilotprojekt gibt es bereits am Roten Graben in Langebrück, wo ein Rückhaltebecken und eine Filteranlage zur Regenwasser-Reinigung geplant wird.
“Wie kann der Spagat zwischen den Extremen gelingen?”, fragte er mit Blick auf Hitzesommer und Überflutungen. “Wir brauchen einen Paradigmenwechsel hin zur wassersensiblen Stadt.” Wie der aussehen soll, will seine Arbeitsgruppe mit Vertretern der zuständigen Ämter bis Jahresende ausarbeiten, sodass die Ziele ab Anfang 2024 umgesetzt werden können.
Neues Dresdner Gymnasium soll Maßstäbe setzen
Wie das Regenwasser bei einem konkreten Projekt genutzt werden soll, erklärte Christina Holstein von der STESAD, dem Sanierungs- und Entwicklungsträger der Stadt Dresden. Sie stellte die Pläne fürs Gymnasium Linkselbisch Ost (LeO) vor. Das soll ab Anfang kommenden Jahres an der Bodenbacher Straße neben dem Stadion an der Margon-Arena gebaut werden. Mit Sträuchern, Büschen, Rasen und Pflanzen soll die insgesamt 4.500 Quadratmeter große Dachfläche begrünt werden.
Geplant ist zudem, die Fassaden mit Rank- und Kletterpflanzen sowie den Pausenhof zu begrünen. In Tiefbeeten und Mulden soll selbst bei Starkregen Wasser zurückgehalten werden können. Regenversickerungssysteme sollen mit sogenannten Rigolen sowohl auf Freiflächen als auch unter Bäumen am Weg zur Winterbergstraße angelegt werden. „Das Ziel ist es, das gesamte Regenwasser auf dem Grundstück zurückzuhalten“, sagte Christina Holstein. „Die Schüler werden eine tolle Schule bekommen.“
Das Pilotprojekt: Selbst Starkregen versickert in Leipzig
Leipzig ist ein Vorreiter bei der Nutzung von Regenwasser. Ein entsprechendes Konzept wurde bereits 2020 beschlossen. Ein blau-grünes Großprojekt stellte Dr. Ganbaatar Khurelbaatar vor. Der Wissenschaftler mit mongolischen Wurzeln arbeitet am Helmholtz-Umweltforschungszentrum in Leipzig. Ein insgesamt 25 Hektar großes Wohngebiet für 3.000 Bewohner entsteht gleich in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofs. Dort werden neben Wohnhäusern auch zwei Schulen und zwei Kindergärten errichtet.
Der Grundsatz: Das Regenwasser fließt nicht in den Kanal, sondern wird vor Ort genutzt. Über die Lösungen diskutieren die Stadt, Planer, Investoren, Bürger und Wissenschaftler seit 2018. „Wir hatten einen Musterblock“, erklärte er. Das Ziel ist, dass selbst ein extrem seltener 100-jährlicher Starkregen zurückgehalten wird und versickern kann. Dafür wurden unter anderem Gründächer und Rigolensysteme geplant.
Zwar gibt es bereits den dritten Investor für das Gebiet. „Aber jedes Mal hatten wir das Glück, dass der Investor für eine Kooperation offen war“, sagte der Forscher. Jetzt gibt es den Plan, mit der großen Leipziger Wohnungsbaugesellschaft bessere Regenwasser-Lösungen für bestehende Gebäude zu finden.
Das Hamburger Straßenprojekt: Neue Grünstreifen unweit der Reeperbahn
Das Verbundprojekt „BlueGreen Streets“ zur Gestaltung wassersensibler Straßenräume stellte Dr. Michael Richter von HafenCity Universität Hamburg vor. Regen soll an Straßen zurückgehalten werden und versickern. Durch die ansprechende Gestaltung soll das Umfeld attraktiver werden. Möglich sei das beispielsweise, wenn Parkplatz von der Seite auf die Straße verlegt werden, um Grünanlagen mit Versickerungssystemen anzulegen.
„Wir brauchen Platz. Der muss Pkws genommen werden, sonst funktioniert es nicht“, erklärte Michael Richter. Möglich sei das mit höheren Parkgebühren oder besseren Nahverkehrsanbindungen. Dass es dadurch Ärger gibt, ist ihm klar. „Dazu braucht man nicht nur Mut, sondern muss auch konkrete Ziele festlegen“, sagte er. Pilotprojekte für die klimafreundliche Straßengestaltung gibt es Berlin, Leipzig, Hamburg und weiteren Städten. In Hamburg-Altona wurde die Königstraße, die sich gleich an die Reeperbahn anschließt, von vier auf zwei Fahrspuren umgebaut, sodass Grünstreifen angelegt werden konnten. Das Versickerungssystem einer Baumgrube fasst jetzt 1.000 Liter Regenwasser, führte er ein Beispiel an.
Das Forschungsprojekt: Landesamt testet Lösungen in Pillnitz
An guten Lösungen fürs Regenwasser wird auch beim Pillnitzer Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie geforscht, erklärte Tom Kirsten von dieser Behörde. Angelegt sind 36 Baumrigolen in verschiedenen Bauweisen. Außerdem gibt es Sickerringe mit Pflanzen wie Rettich, die bis zu zwei Meter tiefen Wurzeln haben, und Regengärten, die Mulden mit normalem Boden oder mit Sand haben. Zudem sind Verdunstungsbeete angelegt, die mit 1,7 Meter hohem Schilf bepflanzt sind. Außerdem werden Versickerungsanlagen für Sportplätze getestet.
Das Projekt sei sehr aufwendig. Beispielsweise bei den Baumrigolen wird mit entsprechenden Geräten die Bodenfeuchtigkeit, das Wachstum und damit die Gesundheit der Bäume sowie die Versickerungs- und Verdunstungsmenge des Regenwassers gemessen. Der Versuch soll 15 Jahre dauern. „Nach drei bis vier Jahren rechnen wir aber mit den ersten Ergebnissen“, erläutert Tom Kirsten.
Das Resümee: Keine Zeit verlieren, sondern handeln
„Wir haben kein Wissensdefizit, sondern ein Umsetzungsproblem“, fasste Geschäftsführer Ralf Strothteicher von der Stadtentwässerung Dresden die Debatte zusammen. „Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren, sondern müssen schnell handeln.“ Bereits in zwei Wochen berät die Arbeitsgruppe das nächste Mal, wie Dresden auf dem Weg zur Schwammstadt schneller vorankommt.