CO₂-washing ist das neue Greenwashing

CO₂-washing: Eine verwirrende Terminologie und fehlende offizielle Definitionen machen es Unternehmen einfach, sich mit fragwürdigen Behauptungen zu schmücken. Grafik © Klimaforum Bau
CO₂-washing: Eine verwirrende Terminologie und fehlende offizielle Definitionen machen es Unternehmen einfach, sich mit fragwürdigen Behauptungen zu schmücken. Grafik © Klimaforum Bau

Der globale Vorstoß zur Reduzierung der atmosphärischen Treibhausgasemissionen (allen voran Kohlenstoffdioxid CO₂) wird durch verwirrende Terminologie und irreführende Behauptungen gefährdet, meint Marcus Fairs, Gründer und Chefredakteur von Dezeen. Mit seiner freundlichen Genehmigung dürfen wir den lesenswerten Beitrag hier ins Deutsche übertragen. Dabei nutzen wir bedeutungsähnliche Übersetzungen der Begriffe, die sich auch im deutschen Sprachgebrauch insbesondere in den PR- und Marketingabteilungen steigender Beliebtheit erfreuen.

Die wachsende Besorgnis über den Klimawandel hat dazu geführt, dass immer mehr Unternehmen mit fragwürdigen Behauptungen aufwarten, sie würden das Problem angehen. Begriffe wie “klimaneutral”, “CO₂-negativ”, “Netto-Null” und “Kompensation” sind in aller Munde und ersetzen Begriffe wie “biologisch abbaubar”, “kompostierbar”, “Recycling” und “Ozeanplastik”, die noch vor ein paar Jahren die angesagten Schlagworte waren.

Heute scheinen viele Unternehmen auf einen anderen Zug aufgesprungen zu sein und ihre “Plastikangst” gegen die Sorge um das Klima eingetauscht zu haben. Der neue CO2-Jargon soll den Eindruck erwecken, dass neue Gebäude und Produkte keinen Beitrag zum Kohlendioxidausstoß in der Atmosphäre leisten oder ihn sogar verringern.

Unternehmen machen sich vage und oft nichtssagende Terminologie zunutze

Die Behauptungen halten nur selten einer genauen Prüfung stand. Meistens machen sich die Unternehmen einfach eine vage und oft nichtssagende Terminologie zunutze und führen die Öffentlichkeit wissentlich oder unwissentlich in die Irre. Letzten Monat brachte Air Co, die Marke, die 2019 einen “carbon-negative” [“CO₂-negativen] Wodka kreiert hat, “the world’s first and only carbon-negative hand sanitiser made from technology that actually reverses climate change by mimicking photosynthesis” auf den Markt [“das weltweit erste und einzige CO₂-negative Handdesinfektionsmittel, das mit einer Technologie hergestellt wird, die den Klimawandel durch Nachahmung der Fotosynthese umkehrt”].

Das Unternehmen behauptet, Kohlendioxid, das aus der Luft extrahiert wird, zur Herstellung des Alkohols zu verwenden, der die Grundlage seines Desinfektionsmittels ist. Aber wenn die Technologie wirklich funktioniert, kann das Produkt nur dann CO₂-negativ sein, wenn es für immer in der Flasche bleibt. Sobald Sie das Desinfektionsmittel verwenden, setzen Sie das Kohlendioxid wieder frei. Dasselbe gilt für den Wodka: Sobald man ihn trinkt, setzt man das Kohlendioxid frei.

Anfang Juli behauptete das Architekturbüro Associated Architects, dass sein geplantes Curzon Wharf-Projekt in Birmingham Netto-Null-Wolkenkratzer umfasse. Später ruderte das Unternehmen zurück und behauptete, dass sie in Bezug auf den betriebsbedingten Kohlendioxidausstoß (CO₂, das während der Nutzung des Gebäudes ausgestoßen wird) netto null wären, nicht aber in Bezug auf das gebundene Kohlendioxid (“embodied”: Emissionen, die durch den Bauprozess und die Materiallieferkette verursacht werden).

Dies bedeutet jedoch, dass das Projekt überhaupt nicht Netto-Null ist, da Netto-Null den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes umfasst, einschließlich des verkörperten Kohlenstoffs, der etwa die Hälfte des Kohlenstoff-Fußabdrucks eines durchschnittlichen Projekts ausmacht.

Präzisere Terminologie ist erforderlich

Dies sind nur zwei Beispiele für die vielen falschen Behauptungen, die in letzter Zeit in unseren Posteingängen gelandet sind. Eine präzisere Terminologie ist erforderlich. Der aufstrebende “Carbontech”-Sektor, über den Dezeen in seiner Carbon-Revolution-Serie ausführlich berichtet hat, hat sich bei der Dekarbonisierung auf “Netto-Null” als einziges Konzept festgelegt.

Obwohl es (noch) keine offiziell vereinbarte Definition von Netto-Null gibt, wird allgemein davon ausgegangen, dass über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts, eines Gebäudes oder eines Unternehmens keine Nettobeiträge zum atmosphärischen Kohlendioxidausstoß entstehen. Für ein Gebäude bedeutet dies sowohl das mit der Errichtung gebundene als auch das im Betrieb emittierte CO₂.

Kompensationen sind oft mit dubiosen Transaktionen verbunden

Alle diese Emissionen müssen sich auf null summieren, um als Netto-Null-Emissionen zu gelten. Da es äußerst schwierig ist, die gebundenen CO2-Emissionen zu eliminieren, kann man die Differenz durch Kompensationsprogramme ausgleichen, die der Atmosphäre aktiv Kohlenstoff entziehen. Der Begriff “Kompensation” wird jedoch häufig missbraucht. Er ist zu einem Freibrief geworden, mit dem selbst die umweltschädlichsten Unternehmen als klimafreundlich dargestellt werden können.

Bei der Kompensation geht es oft um dubiose Transaktionen, wie z. B. jemanden dafür zu bezahlen, dass er weniger Emissionen verursacht, als er es sonst getan hätte, oder jemanden dazu zu bringen, zu versprechen, einen Wald nicht abzuholzen. Dazu gehört auch die Annahme, dass ein Wald, der für Kompensationen verwendet wird, niemals einem Waldbrand zum Opfer fallen wird, obwohl dies in den USA immer häufiger vorkommt (dies ist ein Grund, warum viele “Carbontech”-Vertreter sagen, dass es “nicht sinnvoll ist”, sich auf die Anpflanzung von Bäumen zur Kohlenstoffbindung zu verlassen).

Google, das behauptet, seit 2007 CO₂-neutral zu sein und sein gesamtes Kohlendioxid-Vermögen zu eliminieren, erreicht dies durch die Verwendung von Kompensationen, die angeblich die Emissionen des Unternehmens ausgleichen. Tatsächlich tun sie das nicht. Das Kompensationsportfolio des Technologieriesen umfasst Projekte, die Methan aus der Landwirtschaft und aus Mülldeponien auffangen. Dadurch wird lediglich verhindert, dass noch mehr Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen, und nicht die Emissionen, die das Unternehmen bereits verursacht hat, rückgängig gemacht. Da jedoch ein Teil des abgeschiedenen Methans zur Energieerzeugung verbrannt wird, wird im Rahmen des Kompensationsprogramms noch mehr CO₂ in die Atmosphäre freigesetzt.

Das gesamte Konzept der CO₂-Neutralität ist eine Form von “CO₂-washing”

Googles Strategie steht jedoch im Einklang mit dem internationalen Standard PAS 2060 für CO₂-Neutralität. Dieser erlaubt es Unternehmen, sich als klimaneutral zu bezeichnen, wenn sie Kompensationen oder Emissionsgutschriften verwenden, auch wenn diese Systeme die Emissionen, die sie ausgleichen sollen, nicht tatsächlich neutralisieren. Das bedeutet, dass das gesamte Konzept der CO₂-Neutralität eine Form von “CO₂-washing” ist.

Anstelle von “Kompensation” bevorzugen die “Carbontech”-Vertreter den Begriff “CO₂-Entfernung”. Dabei wird Kohlendioxid bzw. besser nur der Kohlenstoff aus der Atmosphäre entnommen, u. a. durch Kohlenstoffbindung im Boden und direkte Luftabscheidung. Der Kohlenstoff wird dann dauerhaft auf der Erde gespeichert (ein Verfahren, das als Carbon Capture and Storage oder CCS bekannt ist) oder in Produkten wie Baumaterialien verwendet (Carbon Capture and Utilisation oder CCU).

Aber selbst diese Terminologie wird von der Öl- und Gasindustrie missbraucht, die eine neue Idee namens Carbon Capture, Storage and Utilization (CCUS) entwickelt hat. Hinter diesem scheinbar CO₂-freundlichen Schlagwort ist ein Deckmantel für die verbesserte Ölgewinnung, bei der CO₂ in erschöpfte Ölreserven gepumpt wird, um die letzten, schwer zugänglichen Vorkommen fossiler Brennstoffe herauszupressen.

Die fossile Industrie kommt damit zum Teil deshalb durch, weil die Terminologie rund um CO₂ hoffnungslos verwirrend ist [dezeen bietet dazu einen CO₂-Leitfaden an]. In ihrem Lexikon definiert die UN-Initiative “Race to Zero” eine verwirrende Reihe von sich scheinbar überschneidenden Begriffen, darunter “net-zero” [“Netto-Null”], “absolute zero” [“absoluter Nullpunkt”], “climate positive” [“klimapositiv”] und “net negative” [“Netto-negativ”] (was dasselbe bedeutet), “offsetting” [“Kompensation”], “insetting” [Kompensation innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette] und mehr. Angesichts der bevorstehenden, wichtigen Klimakonferenz Cop26 muss die Klimabranche die Kurve kriegen und den Menschen einfachere Richtlinien an die Hand geben.

Aber verwirrende Terminologie ist keine Entschuldigung für Untätigkeit oder CO₂-washing. Das Übereinkommen von Paris von 2015 gibt der Welt klare Ziele vor: Halbierung der Emissionen bis 2030 und Netto-Null bis 2050, um eine Chance zu haben, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.

Das ist etwas, wozu jeder seinen Teil beitragen muss – auch all die zögerlichen Architekten, die sich bisher nicht an Race to Zero beteiligt oder die Klimainitiative der RIBA [Royal Institute of British Architects] abgelehnt haben. Diese Unternehmen und alle anderen könnten damit beginnen, sich auf nur zwei Schlagworte zu konzentrieren, wenn sie wollen, dass ihre Klimapolitik ernst genommen wird: Das Streben nach einem Netto-Null-CO₂-Ausstoß und die echte Entfernung von CO₂ aus der Atmosphäre anstelle einer bloßen Kompensation.

Übersetzt mit Unterstützung von www.DeepL.com/Translator.

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