Der Gebäudesektor muss große Mengen an CO₂-Emissionen einsparen, um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen. Gleichzeitig sieht das neue Gebäudeenergiegesetz vor, dass bei besonders erhaltenswerter Bausubstanz von den Sanierungsauflagen abgewichen werden kann. Droht ein Konflikt zwischen CO₂-Neutralität und dem Erhalt des baukulturellen Erbes? Dies untersucht jetzt ein Forschungsprojekt.
„Die Ausnahmeregelungen im Gebäudeenergiegesetz stellen Städte und Gemeinden vor Schwierigkeiten: Denn der Begriff der erhaltenswerten Bausubstanz ist nicht klar definiert und somit ist ungewiss, wie groß der Anteil am gesamten Gebäudebestand in einer Kommune ist. Zudem sind die Zuständigkeiten innerhalb der Verwaltung oftmals nicht klar geregelt“, erläutert Co-Projektleiter Prof. Thorsten Burgmer von der Fakultät für Architektur der TH Köln. „Bestimmte Architektur als ‚besonders erhaltenswert‘ einzustufen, ist ein geeignetes Werkzeug zur Sicherung unserer Kulturgeschichte. Doch bisher nutzen nur sechs Prozent der Kommunen dieses Instrument“, ergänzt Co-Projektleiter Prof. Dr. Daniel Lohmann.
Definitionsbestimmung und Erhebungsmethodik
Zunächst sollen im Rahmen des Forschungsprojektes „erBe 2045 – Klimaneutraler erhaltenswerter Gebäudebestand“ daher Kriterien definiert werden, anhand derer Verwaltungen entscheiden können, welche Gebäude zukünftig als erhaltenswert eingestuft werden sollen. Anhaltspunkte dafür liefern verschiedene gesetzliche Vorgaben zum Denkmalschutz und zur Stadtplanung sowie die Ergebnisse bereits abgeschlossener Forschungsprojekte anderer Institutionen.
„Da es für die Städte und Gemeinden zu aufwendig ist, ihren Gebäudebestand händisch zu erfassen, wollen wir auf Basis unseres Kriterienkatalogs eine Methodik entwickeln, die bereits vorhandene statistische Daten wie Alter und Bauart der Gebäude nutzt. Ergänzt werden diese Daten durch exemplarische Detailanalysen, die wir beispielhaft in jeweils einer Kommune im städtischen und im ländlichen Raum durchführen“, so Lohmann. Stadtplaner:innen können so künftig auf Grundlage der vorhandenen Siedlungsstruktur und Baualtersklassen ableiten, wie hoch der Anteil erhaltenswerter Bausubstanz voraussichtlich ist.
Auswirkung auf die kommunale Wärmeplanung
Diese Zahlen können dann eine belastbare Grundlage für die kommunale Wärmeplanung sein, die alle Kommunen und Landkreise bis 2028 vorlegen müssen. So soll auf lokaler Ebene festlegt werden, welche klimaneutrale Wärmeversorgung in welchen Gebieten besonders geeignet ist. „Um zu wissen, wie hoch der Wärmebedarf ist, muss klar sein, wie viele Gebäude aufgrund ihres baukulturellen Werts von Sanierungsmaßnahmen ausgeschlossen sind und somit weiterhin viel Energie benötigen“, sagt Burgmer.
Damit Städte den erhöhten Wärmebedarf abschätzen können, wenn mehr Gebäude von Sanierungen ausgeschlossen sind, beziehen die Forschenden neben den baukulturellen auch energetische Kennwerte in ihre Erhebungen mit ein. Zudem soll ein Leitfaden entstehen, mit dem die Stadtplanung ihre Entscheidungen zur erhaltenswerten Bausubstanz kriterienbasiert untermauern und Zuständigkeiten klar definieren kann.
Zielkonflikt lösen
Nicht zuletzt geht es dem Forschungsteam auch darum aufzuzeigen, wie Klimaschutzziele erreicht werden können und baukulturelle Werte trotzdem erhalten bleiben: „Je nach Gebäudeklasse und Alter sind Sanierungsmaßnahmen denkbar, die das äußere Erscheinungsbild nicht verändern – etwa Innendämmungen oder eine neue Heizungsanlage. Daher wollen wir mit Eigentümer:innen ins Gespräch kommen und beispielhaft individuelle Maßnahmen aufzeigen, die den vermeintlichen Zielkonflikt auflösen“, so Burgmer.
Das Forschungsprojekt „erBe 2045 – Klimaneutraler erhaltenswerter Bestand“ wird von Oktober 2023 bis September 2026 vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen über das Innovationsprogramm Zukunft Bau mit rund 330.000 Euro gefördert.