Aufgrund der zunehmenden Ressourcenknappheit und der Auswirkungen des Klimawandels spielt die Kreislaufwirtschaft im Bauen eine immer wichtigere Rolle. Um die Zirkularität von Gebäuden in aggregierter Form bewerten zu können, wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe von Methoden und Kennwerten entwickelt, die sich häufig jedoch in ihren zugrundeliegenden Prinzipien, in zahlreichen Details und damit in ihrer jeweiligen Aussagekraft voneinander unterscheiden. Im Sinne einer besseren Vergleichbarkeit hat die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) gemeinsam mit ihrem breiten Expertennetzwerk aus Wissenschaft und Praxis jetzt einen übergeordneten Qualitätsstandard für Zirkularitätsindizes von Bauwerken entwickelt. Dieser baut auf den Informationen aus dem DGNB Gebäuderessourcenpass auf. Er dient der besseren Einordnung vorhandener Bewertungsmethoden sowie als Maßstab für künftig entwickelte Verfahren.
Europa soll der erste klimaneutrale und zirkulär wirtschaftende Kontinent werden. Die Art, wie gebaut, modernisiert und mit dem Gebäudebestand gewirtschaftet wird, ist mitentscheidend für das Erreichen dieser Ziele. Aus diesem Grund hat die DGNB bereits 2022 einen Gebäuderessourcenpass entwickelt, der unter anderem Transparenz über definierte zirkuläre Eigenschaften von Bauaktivitäten und Gebäuden herstellt.
Um jedoch die Bewertung und Vergleichbarkeit der Zirkularität von Gebäuden für übergeordnete Entscheidungsprozesse weiter zu verbessern, ist aus Sicht der DGNB der Einsatz von aggregierten Zirkularitätsindizes sinnvoll. Durch die Ermittlung und Dokumentation von Daten sowie die darauf aufbauende Berechnung von aussagekräftigen Kennwerten werden die Beteiligten in die Lage versetzt, validierte Entscheidungen zu treffen, um die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu unterstützen.
Bessere Vergleichbarkeit bei der Zirkularitätsbewertung von Gebäuden
„Die Debatte rund um das zirkuläre Bauen hat zwei Seiten“, sagt Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der DGNB. „Einerseits ist es erfreulich, dass dieser zentrale Aspekt der Nachhaltigkeit im Bauen sehr viel mehr Aufmerksamkeit bekommt und immer mehr Anwendung erfährt. Andererseits bleibt es in vielen Projekten bei Lippenbekenntnissen oder einer sehr einseitigen Interpretation des Themas. Oft reduziert sich der Blick allein auf eine theoretisch mögliche Kreislaufführung bei einem Rückbau in ferner Zukunft. Das Heben der Kreislaufpotenziale im Hier und Jetzt wird ausgespart.“
Mit dem jetzt veröffentlichten Qualitätsstandard für Zirkularitätsindizes von Bauwerken will die DGNB einen Beitrag für eine differenziertere, transparente Auseinandersetzung mit der tatsächlich realisierten Kreislaufführung sowie der Kreislauffähigkeit von Gebäuden leisten. Der neue Qualitätsstandard soll dabei sicherstellen, dass der Bewertung durch Zirkularitätskennzahlen bei konkreten Bauvorhaben ein gemeinsames Verständnis zugrunde liegt – im Zuge von Zertifizierungen oder als Element kommunaler oder übergeordneter Regelwerke.
Unterstützt wird der Non-Profit-Verein bei seinem Standardisierungsvorhaben nicht nur von zahlreichen renommierten Wissenschaftsexperten im Bereich des zirkulären Bauens, sondern auch von verschiedenen Anbietern bereits verfügbarer Zirkularitätsindizes wie Concular, EPEA, Madaster oder dem Urban Mining Index.
Überblick über die verschiedenen Facetten von Zirkularität im Bauwesen
Das rund 30 Seiten umfassende Dokument führt zunächst grundlegend in die verschiedenen Aspekte der Messbarkeit der Zirkularität von Bauaktivitäten ein. Dabei wird erklärt, welche Datengrundlagen zur Ermittlung der aggregierten Kennwerte benötigt werden. Teilindikatoren, die einen heutigen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten, sind die Materialherkunft, Bau- und Abbruchabfälle sowie die Schadstoffbelastung. Mit Blick auf den zukünftigen Beitrag sind die Materialverträglichkeit, die Demontagefähigkeit, die werkstoffliche Trennbarkeit sowie das Potenzial zur Materialverwertung die relevanten Betrachtungsebenen.
Im Weiteren wird die Methodik hinter dem Qualitätsstandard für Zirkularitätsindizes von Bauwerken dezidiert erläutert. Dabei definiert die DGNB eine Reihe von Mindestanforderungen formeller und individueller Art sowie gewisse Toleranzbereiche in der Anwendung. Für die DGNB ist es wichtig, dass in der Bewertung herausgestellt wird, welche Phasen des Gebäudelebenszyklus betrachtet werden: Die Pre-Use-Phase mit dem heutigen Beitrag zur bereits umgesetzten Kreislaufführung sowie die Post-Use-Phase, die die potenzielle Kreislauffähigkeit am Ende der Gebäudenutzung fokussiert. Je nachdem, wie kurz- oder langlebig die Nutzungsdauer eines Bauwerks geplant ist, können diese Beiträge unterschiedlich gewichtet werden. Dabei gilt: Je länger ein Gebäude genutzt werden soll, umso wichtiger ist es, bereits heute eine Kreislaufführung mit der vorhandenen Bausubstanz oder wiedergewonnenen Materialien zu realisieren.
DGNB Zirkularitätsindex betrachtet alle Aspekte der Kreislaufwirtschaft im Bauen
Ausgehend von dem Qualitätsstandard hat die DGNB eine eigene Methodik abgeleitet. Diese spiegelt die übergeordneten Ziele des nachhaltigen Bauens im Sinne der DGNB wider und kann im Rahmen der DGNB Neubauzertifizierung sowie als ergänzende Betrachtung aufbauend auf den Informationen aus einem DGNB Gebäuderessourcenpass zum Einsatz kommen.
Beim DGNB Zirkularitätsindex werden zur Bewertung alle sieben Teilindikatoren herangezogen. Abhängig von der angesetzten Lebensdauer des Bauwerks werden der Pre-Use- und der Post-Use-Beitrag in unterschiedlichen Gewichtungen betrachtet. Dabei umfasst der DGNB Zirkularitätsindex die Gebäude-, Bauteil-, Produkt- und Materialebene gleichermaßen. Das Ergebnis der Bewertung ist eine Zahl zwischen 0 und 1, wobei ein Gebäude, das einen möglichst hohen Wert erzielt, als besonders zirkulär zu betrachten ist, da es sowohl zur heutigen als auch zur zukünftigen Kreislaufwirtschaft beiträgt.
Zur besseren Vergleichbarkeit der gängigsten, bereits vorhandenen Zirkularitätsindizes gibt es im Dokument zum Qualitätsstandard auch eine Übersicht, die die jeweiligen Bewertungsverfahren in ihrem Umfang und damit in ihrer konkreten Aussagekraft miteinander vergleicht.
„Wenn es uns gelingt, eine größere Transparenz und mehr Verlässlichkeit in die Bewertung der Zirkularität von Gebäuden zu bekommen, wird die Akzeptanz für entsprechende Lösungen weiter zunehmen“, verspricht Dr. Anna Braune, Abteilungsleiterin Forschung und Entwicklung bei der DGNB. „Der jetzt veröffentlichte Qualitätsstandard hat das Potenzial, hierbei eine wichtige Rolle zu spielen, da er von einigen der wichtigsten Stakeholder des zirkulären Bauens in Deutschland gemeinschaftlich entwickelt wurde.“
Alle Informationen zum Qualitätsstandard sowie zum DGNB Zirkularitätsindex gibt es online unter www.dgnb.de/zirkularitaetsindex.