Mit dem „Modell Deutschland Circular Economy“ entwickeln WWF Deutschland, Öko-Institut, Fraunhofer ISI und FU Berlin ein umfassendes Bild für zirkuläres Wirtschaften und zirkulären Konsum in Deutschland. Eine wichtige Erkenntnis im Bausektor: Verhaltensbasierte Maßnahmen wie eine Reduktion der Wohn- und Büroflächen erzielen 97 Prozent Treibhausgas- und 69 Prozent Rohstoffeinsparungen.
Die Transformation der deutschen Gesellschaft zu einer Circular Economy (CE) hätte große positive Effekte auf den Klima-, Ressourcen- und Biodiversitätsschutz. Zudem würde die deutsche Wirtschaft erheblich an Versorgungssicherheit gewinnen und ihre Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen reduzieren. Dies zeigt die kürzlich veröffentlichte Studie „Modell Deutschland Circular Economy“ (MDCE), die der WWF Deutschland gemeinsam mit dem Öko-Institut, Fraunhofer ISI und der Forschungsgruppe Policy Assessment FU Berlin erarbeitet hat. Sie bietet zusammen mit dem Politik-Blueprint eine wissenschaftliche Grundlage mit konkreten Maßnahmen, Instrumenten und Folgeabschätzungen.
“Unser Hunger nach Ressourcen scheint bisher unstillbar – und dies hat uns direkt in die zunehmende Dreifachkrise aus Erderhitzung, Artensterben und Umweltverschmutzung geführt”, sagt Rebecca Tauer, Programmleiterin Circular Economy beim WWF Deutschland. Beispielsweise hat Deutschland 2018 mit 16,4 Tonnen pro Kopf rund 13 Prozent mehr Rohstoffe verbraucht als der EU-Durchschnitt und die Rohstoffentnahme und -verarbeitung in Deutschland ist für 40 Prozent unserer Treibhausgasemissionen verantwortlich. „Die Circular Economy bringt uns aus dieser Sackgasse wieder heraus, indem sie unser lineares Wirtschaften aus ‚Take-Make-Waste‘ ablöst. Bisher fehlt jedoch ein konkretes und holistisches Zielbild für den Umbau der deutschen Wirtschaft zu einer echten Circular Economy.“
Circular Economy bringt echten Klima- und Biodiversitätsschutz
Der gesamtgesellschaftliche Nutzen einer Circular Economy ist deutlich höher als die damit einhergehenden sozio-ökonomischen Kosten der Transformation, zeigt die Studie. „Die zirkuläre Transformation könnte die Treibhausgasemissionen um bis zu 26 Prozent reduzieren und den Rohstoffkonsum um bis zu 27 Prozent bis zum Jahr 2045 senken“, sagt Siddharth Prakash, Projektleiter und Leiter Zirkuläres Wirtschaften & Globale Wertschöpfungsketten beim Öko-Institut. „Den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln ist zentral, um die planetaren Grenzen zukünftig einzuhalten. Mit dem ‚Modell Deutschland‘ liefern wir wichtige Impulse für die Politik, um eine zukunftsträchtige, nachhaltige und wettbewerbsfähige Wirtschaftsstruktur zu gestalten.“
Allein mit nur fünf Maßnahmenbündeln lassen sich über alle untersuchten Sektoren hinweg schon fast 84 Prozent der Treibhausgasreduktion erzielen. „Geringere Wohn- und Bürofläche, weniger Individualverkehr, eine stärker pflanzenbasierte Ernährung, ressourceneffizientere Rechenzentren und ein geringerer Konsum von Textilien sind Ansätze, die eine große Wirkung erzielen“, sagt Prakash. „Diese Maßnahmen führen außerdem zu 30 Prozent weniger Landnutzung in den betrachteten Sektoren und tragen so zum Schutz der Biodiversität bei.“
Sektor Hochbau: Büro- und Wohnflächenanspruch sind der Schlüssel
Die neun modellierten CE-Maßnahmen im Bereich Hoch- und Tiefbau verteilen sich auf drei grundlegende Kategorien:
- Effizienterer Umgang mit Wohn- und Gewerberaum, indem Flächen an den jeweiligen Bedarf angepasst werden, sowie eine längere Lebensdauer von Gebäuden
- Reduzierter Einsatz energieintensiver Baumaterialien durch Design plus Wiederverwendung und Recycling von Bauteilen und -materialien
- Nutzung von umweltverträglicheren Baumaterialien
Im Hochbau können die MDCE-Maßnahmen die Treibhausgasemissionen gegenüber dem Weiter-so um 18 % bzw. 59,3 Mt CO₂-Äq reduzieren. Der Rohstoffkonsum (RMC) sinkt um 26 % bzw. 49,2 Mt, beim Gesamtmaterialverbrauch (TMC) werden 24 % bzw. 75,3 Mt eingespart und bei der Landnutzung kann Deutschland um 18 % bzw. 907.000 ha entlastet werden. Beim Tiefbau zeigen sich deutlich geringere Möglichkeiten, da die Potenziale dort an sich begrenzt sind.
Ein Blick auf die Zahlen, speziell die THG-Emissionen, offenbart zwei besonders wirkungsvolle, verhaltensbasierte Maßnahmen: Je weniger Wohn- und Büroraum in Anspruch genommen und je effizienter dieser Raum genutzt wird, desto weniger Ressourcen werden für Neubau und Nutzung benötigt. Von den rund 60 Mt CO₂-Äq, die im MDCE-Szenario gegenüber dem Weiter-so zusätzlich eingespart werden können, entfallen rund 57 Mt CO₂-Äq bzw. 97 % auf die geringere Inanspruchnahme von Wohn- und Büroraum.
Zement und Stahl sind Schlüsselmaterialien
Mit Blick auf das Ziel einer klimaneutralen Wirtschaft müssen speziell die schwer zu vermeidenden Prozessemissionen reduziert werden. Erreichen lässt sich das über eine optimierte, ressourcensparende Bauweise oder auch, indem Baustoffe mit hoher Umweltauswirkung ersetzt werden (Reduktion des Klinkerfaktors, alternative Bindemittel, nachwachsende Materialien anstelle von Stahl und Zement), Bauteile und Baustahl wiederverwendet sowie recycelter Zement eingesetzt werden. Um die effektivsten Maßnahmen umzusetzen, schlagen die Autoren die folgenden Politik-Instrumente vor:
- Privilegierung von Mietwohnungstausch
- Integration des Ressourcenschutzes im Bauplanungsrecht
- Verbindliche Vorgaben für öffentliche Beschaffung
- Einführung einer Primärbaustoffsteuer
Spürbar erhöhte Versorgungssicherheit durch Circular Economy
Für eine erfolgreiche Energie- und Mobilitätswende sind einige Rohstoffe notwendig, die aber hohe Umweltschäden verursachen und in Bezug auf Versorgungsrisiko und wirtschaftliche Bedeutung kritisch sind. „Im ‚Modell Deutschland‘ zeigt sich, dass der Rohstoffbedarf in Deutschland durch verringerten Verbrauch und vermehrtes Recycling bei vielen Rohstoffen entspannt werden kann“, sagt Antonia Loibl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. „Bei beispielsweise Neodym, Kobalt und Kupfer könnte der angenommene Bedarf für das Jahr 2045 durch das ‚Modell Deutschland‘ zu mehr als 50 Prozent durch die entsprechenden zirkulären Maßnahmen gedeckt werden. Das Risiko für Versorgungsengpässe sinkt durch die Maßnahmen der Circular Economy.“
Den Wandel aktiv gestalten
„Damit die Vision, Leitprinzipien und Ziele einer Circular Economy umgesetzt werden können, braucht es Verbindlichkeit. Dafür ist eine Governance-Struktur für ein Ressourcenschutzgesetz, analog zum Klimaschutzgesetz, zentral“, sagt Klaus Jacob, Leiter der Forschungsgruppe Policy Assessment an der FU Berlin. Die Instrumente zur Förderung von zirkulären Maßnahmen sind zwar in der Regel bekannt, müssen allerdings weiterentwickelt und viel ambitionierter gestaltet werden, damit die erwünschte ökologische Lenkungswirkung eintritt. Beispielsweise sollte die Steuer- und Finanzpolitik bessere Anreize für zirkuläres Wirtschaften liefern, die öffentliche Beschaffung verbindlich Umweltaspekte einplanen und Hersteller sowie Inverkehrbringer von Produkten eine größere Verantwortung für ihre Produkte übernehmen, so die Analyse.
Die Autorinnen und Autoren der Studie empfehlen, dass im Zieljahr 2045 nur noch ein Pro-Kopf-Rohstoffkonsum von 7 Tonnen pro Jahr vorliegt, zudem sollte der absolute Rohstoffkonsum auf rund 500 Millionen Tonnen gesenkt werden. Außerdem müsste die zirkuläre Materialnutzungsrate (Circular Material Use Rate) in Deutschland auf 25 Prozent bis 2030 erhöht werden.
„Deutschland muss mit der Circular Economy dringend aufholen und damit das schlummernde Potenzial für Klima- und Biodiversitätsschutz nutzen. Dafür sollte die Bundesregierung eine ambitionierte und konkrete nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie bis nächstes Jahr verabschieden“, fordert Rebecca Tauer vom WWF Deutschland. „Die Circular Economy stärkt langfristig den Wirtschaftsstandort Deutschland und ist der tragende Baustein für das Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen.“
Hintergrund: Das „Modell Deutschland Circular Economy“
Eine entschlossene Strategie für die Kreislaufwirtschaft erfordert ein umfangreiches Modell einer deutschen Circular Economy mit einer klaren Vision für die Zukunft, ambitionierten Zielen und einem präzisen politischen Rahmenwerk. Das „Modell Deutschland Circular Economy“ zeigt relevanten Akteuren, vor allem in der Politik und der Wirtschaft, ein umfassendes Bild einer deutschen Circular Economy auf, welche Maßnahmen in den jeweiligen Sektoren am effektivsten umgesetzt, und mit welchen Politikinstrumenten diese Transformation angeschoben werden kann. Mit diesem Vorhaben möchte der WWF einen Beitrag zur Entwicklung der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie und darüber hinaus der Gestaltung der Circular Economy in Deutschland leisten.
Das „Modell Deutschland Circular Economy“ gliedert sich in vier Komponenten:
- Die Machbarkeitsstudie beinhaltet die methodischen und fachlichen Grundlagen des Gesamtvorhabens. Sie zeigt, wo im Rahmen der Circular Economy priorisiert werden muss, und benennt konkrete Sektoren, Produkte, Materialien und Maßnahmen.
- Die Haupt- oder Modellierungsstudie bewertet die ökologischen und ökonomischen Folgen der Circular-Economy-Maßnahmen und legt in vier Szenarien dar, welche Erfolge sich erzielen lassen, wenn diese umgesetzt werden. Die Studie erlaubt dadurch nicht nur einen Vergleich zwischen den unterschiedlichen Maßnahmen und ihrer Anwendung in den jeweiligen Sektoren, sondern macht auch die wichtigsten Hebel sichtbar.
- Der Politik-Blueprint bietet auf Grundlage der Ergebnisse der Hauptstudie Empfehlungen insbesondere für die politischen Verantwortlichen, aber auch für wirtschaftliche und gesellschaftliche Akteure.
- Die WWF-Broschüre fasst die wissenschaftlichen Ergebnisse der Modellierungsstudie und des Politik-Blueprints übersichtlich und anschaulich zusammen.
Konkret liefern die verschiedenen Komponenten des „Modell Deutschland Circular Economy“ Antworten auf die folgenden dringenden Fragen:
- Welche Sektoren, Produkte und Materialien begünstigen den Aufbau?
- Welche Circular-Economy-Maßnahmen entfalten im Rahmen der einzelnen Sektoren die größte Wirkung?
- Welche Auswirkungen ergeben sich dabei auf Umwelt, Wirtschaft und Soziales?
- Wie kann die Politik den Wandel gestalten?
- Welche Instrumente und Governance-Struktur sollte die Politik am effektivsten einsetzen?
Für die Durchführung der Studie hat der WWF das Projektkonsortium Öko-Institut e.V., Fraunhofer ISI und die FU Berlin engagiert.