“In Deutschland planen wir nicht nach Ingenieurswissen, wir sind das Land der Normen!” Mit diesem provokanten Satz beschreibt Anja Rosen, Professorin für zirkuläres Bauen an der Bergischen Universität Wuppertal, eine der Hürden hin zu einer kreislaufgerechten Bauweise. Doch diese These steht nicht allein im Raum. Das nachhaltige Bauen versucht, die drei großen Felder Ökologie, Ökonomie und Soziales bestmöglich miteinander zu vereinen und dabei in teilweise kleinsten Details eine angemessene Balance zu halten, ohne eines der Hauptziele zu gefährden. Doch was können wir lernen vom derzeit nach DGNB-Auszeichnungslogik nachhaltigstem Gebäude Deutschlands?
Das Hauptziel des Edge Südkreuz war und ist es, wenig Emissionen für Bau und Nutzung auszustoßen. Dafür ist das Gebäude mit zahlreichen Sensoren ausgestattet, um die betriebsbedingten Emissionen so gering wie möglich zu halten und zum Beispiel Nachlaufzeiten bei Bürobeleuchtungen zu vermeiden. Doch auch in der Errichtung wurde auf einen Mix aus Stahlbeton und großen Anteilen Holz gesetzt, sodass Emissionen im Vergleich zur konventionellen Errichtung um 80% gesenkt werden konnten. Die Konzentration der unterschiedlichen Maßnahmen führt im Ergebnis zum höchsten bisher erreichten Gesamterfüllungsgrad von 95,4% nach den Anforderungen der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Um das zu erreichen, müssen die drei Hauptsäulen der Nachhaltigkeit von Anfang an konsequent mitgedacht werden.
Der Chef des Immobilienentwicklers Edge, welcher das Edge Südkreuz realisierte, kritisiert die langen Laufzeiten der deutschen Bürokratie, wonach eine Baugenehmigung für Innovationen häufig mit langen Wartezeiten verbunden sei und diese zumindest teilweise verhindert würden. Der Niederländer teste demnach neue Bauweisen erst in den weniger stark regulierten Niederlanden.
Carbonbeton in Dresden erstmalig erfolgreich eingesetzt
Doch auch abseits der Holz-Hybridbauweise oder der reinen Holzbauweise entwickelt sich der Baustoff Stahlbeton weiter und brachte bereits vor etwa 30 Jahren den Innovationsbaustoff Carbonbeton hervor, welcher die Stahlbewehrung gegen eine Bewehrung aus Carbonbetonfasern tauscht. Nun wurde in Dresden das erste Gebäude aus Carbonbeton erfolgreich errichtet. Die Vorteile des Carbonbeton liegen in der Reduzierung der Bauteilstärken, da eine Betondeckung zum Schutz der Bewehrung vor Korrosion nicht mehr notwendig ist. Gleichzeitig kann die Bauteilstärke durch die erhöhte Tragfähigkeit des Materials weiter reduziert und CO₂-Emissionen vermindert werden. Carbonbeton eignet sich damit hervorragend für nachträgliche Bauteilverstärkungen und die, zumindest in Teilen mögliche, Substitution von Stahlbeton.
Bürokratie und Politik nicht das Problem beim nachhaltigen Bauen?
Dirk Hebel, Professor für nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hält gegen die anfänglichen Thesen und sieht den Hauptgrund für gebremste Nachhaltigkeit in der fehlenden Sensibilität der Gesellschaft für die vorherrschende klimatische Krisensituation. Die Baubranche als solche habe dahingehend noch zu wenig Drang, zum zirkulären Denken und Handeln zu gelangen. Dementsprechend fehlen Lösungen, welche den Verbrauchern wirtschaftlich angeboten werden können. Der Großteil der Baustoffe würde weiterhin maximal einem Downcycling zugeführt werden.
Der Notwendigkeit zur Abkehr vom linearen System von Gewinnung hin zur Deponierung pflichtet auch Dr. Anna Braune, Leiterin Forschung und Entwicklung der DGNB, bei. Sie plädiert für die Anerkennung der planetaren Grenzen und für die Erkenntnis, dass Kreislaufwirtschaft dem Klimaschutz zuträglich ist. Dazu ist es zwingend notwendig, Gebäude bereits zur Wiederverwendung zu planen und dies auch dementsprechend zu dokumentieren. Beispielhaft führt sie das “Müll-Gebäude” aus Neustadt in Holstein an, wobei nachwachsende Rohstoffe neben gebrauchten Bauteilen in großem Stil zur Anwendung kamen.
Recycling durch systematische Dokumentation ermöglichen
Der anfänglich zitierte Satz von Anja Rosen steht nicht als einzige Hürde da. Die Professorin schließt sich der Einschätzung von Dr. Anna Braune an. Die Dokumentation der verbauten Materialien steht als Schlüsselanforderung für den Erfolg des zirkulären Bauens im Mittelpunkt. Der Verzicht auf Verbundmaterialien ermöglicht ein sortenreines Trennen und das Erfassen der verbauten Mengen gibt eine Übersicht für die Planung des nächsten Lebenszyklus. Die kombinierte Erfassung all jener Kenndaten könnte in Form eines Gebäuderessourcenpasses erfolgen.
Doch auch Frau Rosen sieht, wie eingangs erwähnt, das Baurecht als großen Verhinderer beim zirkulären Bauen. Wiederverwendete Materialien müssten in einem komplexen Prozess zur Zulassung freigegeben werden und teilweise ist das Erhalten einer solchen Zulassung für bestimmte Stoffe nicht möglich, obwohl es wohl ingenieurstechnische Lösungen gäbe.