Sanierung – ein großer Klimahebel
Es ist unbestreitbar, dass menschliche Aktivitäten den Klimawandel verursachen und so Extremwetterereignisse einschließlich Hitzewellen, Starkregen und Dürren wahrscheinlicher und schwerer machen. Das zeigt auch der im August herausgekommene sechste IPCC Bericht. Nur wenn es jetzt sofortige, schnelle und große Reduzierungen von Treibhausgas-Emissionen gibt, kann die Erwärmung auf 1,5 °C begrenzt werden. Das Wuppertal-Institut sieht in ihrer Studie den Bausektor als wichtigen Hebel an. „Für das Erreichen von THG-Neutralität bis 2035 ist im Gebäudesektor eine deutliche Reduktion des Wärmebedarfs v.a. im Gebäudebestand sowie ein schneller und umfassender Wechsel zu Heiztechnologie auf Basis erneuerbarer Energie nötig.“ Sanierung wird in den nächsten Jahren eine immer größere Rolle bei der Einsparung von THG-Emission einnehmen. Das Institut fordert deshalb: „Die energetische Sanierungsrate für Gebäude […] muss auf eine beispiellose Höhe von etwa 4 % gebracht werden.“
Große Potentiale zur Energieeinsparung liegen in älteren Gebäuden
Laut der Veröffentlichung „Klimaschutz und Gebäudesanierung“ des Deutschen Instituts für Urbanistik liegt diese Rate aber derzeit bei gerade einmal 1 %. In den kommenden 20 Jahren müssen etwa die Hälfte der rund 40 Millionen Wohnungen in Deutschland saniert werden. Das sind jährlich etwa 1 Millionen Gebäude. Maßnahmen sind vor allem bei den Gebäuden zwischen 1949-1978 notwendig. Dieser Gruppe gehört der größte Anteil an Gebäuden an und verzeichnet gleichzeitig auch die größten flächenbezogenen Verbräuche auf. Die Einsparpotentiale durch eine Sanierung der Gebäudegruppe liegen bei 65 %. Das teilte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in ihrem Dokument „Sanierungsbedarf im Gebäudebestand“ mit. Aus dem hohen Bedarf an zukünftiger Sanierung stellt sich die Frage wie dies gelingen kann, mit welchen Materialien eine zusätzlich nachhaltige und nicht nur energetische Sanierung möglich wird und warum es derzeit noch eine so geringe Sanierungsrate gibt.
Auf was bei einer energetischen Sanierung geachtet werden soll
Der höchste Standard, den man bei einer Sanierung erreichen kann, ist KfW-Effizienzhaus 55. Das bedeutet, dass das sanierte Gebäude nur noch 55 % der Primärenergie vom Referenzgebäude verbraucht. Laut Prof. Wolfgang Zillig vom Fraunhofer IBP gibt es verschiedene Möglichkeiten eine intelligente energetische Gebäudesanierung durchzuführen. Ein Gebäude wird effizienter, wenn die Transmissions- und Luftwärmeverluste vermindert werden. Außerdem sollten die Wärmegewinne, das Tageslichtangebot und Lichteinwirkungsgrad erhöht und der Nutzungsgrad des Wärmeerzeugers gesteigert werden. Zusätzlich müssten Maßnahmen ergriffen werden, um den Einsatz von Kältetechnik zu vermeiden. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie weißt jedoch gleichermaßen darauf hin, dass der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum weiterhin gewährleistet werden muss. Relativierend ist hier anzumerken, dass steigende Energiekosten zukünftig zu einer wesentlichen Preissteigerung insbesondere bei unsanierten Gebäuden führen können und ein nicht-handeln ein ähnliches Risiko für bezahlbaren Wohnraum enthält.
Architects for Future legen Änderungsvorschläge zur Umbauordnung vor
Zunächst ist anzumerken, dass aus Nachhaltigkeitssicht eine Sanierung einem Abriss und Neubau meist vorgezogen werden sollte. Leider entspricht dies noch nicht der Realität und ein Neubau wird eine Sanierung vorgezogen. Wie eine Erhöhung der Sanierungsrate gelingt und mit welchen Methoden saniert werden kann, wurde im Workshop “Sanierung” des Klimaforum Bau diskutiert. Doch bevor man sich mit der Lösungsfindung beschäftigt, sollte man zunächst erst einmal die Hemmnisse identifizieren. Dafür führte Architects for Future eine Umfrage an planenden Kolleg:innen zum Bauen im Bestand durch. Über 800 Teilnehmer:innen wurden befragt, davon über 500 bestandserfahrene Planende. Bei der Auswertung wurden 10 Hemmnisse identifiziert, die besonders häufig genannt wurden. Diese sind den Gruppen gesetzliche Anforderungen, Wirtschaftlichkeit und Kostenaspekte zuzuordnen. Architects for Future hat 5 Handlungsfelder aus den Ergebnissen der Umfrage ermitteln können. Eines davon sind Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen u.a. Änderungen in der Bauordnung hin zu einer Umbauordnung. Dafür wurden konkrete Änderungsvorschläge erarbeitet. Diese werden von 37 Verbänden/Institutionen, 20 Professor:innen und einer Vielzahl von Unternehmen unterstützt. Einer der Kernpunkte ist die Differenzierung der Anforderungen für Neubau und Altbau. Dazu zählen Abstandflächen, aber auch die Brand- und Schallschutzanforderungen. Architects for Future fordert weiterhin eine Abrissgenehmigung. Bevor diese erteilt werden kann soll geprüft werden, ob das Gebäude eine „wertvolle-sanierungsfähige-Bausubstanz“ ist. Hinzu soll die Erstellung eines Rückbaukonzeptes verpflichtend werden, damit nach Ablauf der Nutzungsdauer eines Gebäudes Bauteile wieder in den stofflichen Kreislauf gelangen können. Die Teilnehmenden beim Workshop des Klimaforum Baus sprachen ebenfalls über Hemmnisse und Hürden bei der Sanierung. So führten laut der Teilnehmenden hohe Anforderungen beispielsweise durch hohe Brandschutzvorgaben oder Barrierefreien Zugang zu unlösbaren Problemen – Ein Abriss und Neubau ist dann oftmals die Konsequenz. Ein weiteres Diskussionsfeld betraf den möglichen Eingriff in Eigentum und die Fragestellung inwieweit Eigentümer verpflichtet werden können, ihre Gebäude energetisch zu sanieren.
Formel 1-1-100-100 schafft Ansatz hin zu einem klimaneutralen Gebäudebetrieb
Auch die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen e. V. (DGNB) hat sich über das Problem der zu niedrigen Sanierungsrate Gedanken gemacht und die Formel 1-1-100-100 aufgestellt. Dieses Sofortprogramm für Sanierungen und Nachhaltigkeitsziele stellte Dr. Anna Braune vom DGNB beim Workshop des Klimaforum Baus vor. Die Umweltingenieurin ist der Meinung, dass die Renovierungswelle das Kernthema für die Zukunft sein muss. „Alle [Maßnahmen] nach 2030 sind eigentlich egal – wir müssen jetzt [mit den Emissionen] runterkommen.“ Die Politik müsse mehr auf die Wissenschaftler:innen hören, wie z. B. Johan Rockström. Er und ein internationales Team an Wissenschaftler:innen erstellten das Carbon Law. Es beinhaltet die Forderung nach einer Halbierung der Emissionen in jeder Dekade, um einen stabilen und resilienten Planeten zu erhalten. Dieses Carbon Law soll laut Frau Braune auf den Klimaschutzfahrplan jedes einzelnen angewendet werden. Die Regel kann bei jeder politischen Entscheidung eingesetzt werden, aber auch bei z. B. eigenen Baumaßnahmen.
Schaut man sich den Energieverbrauch nach dem Verursacherprinzip an, ist der Gebäudesektor einer der wichtigsten Sektoren. Wie hoch der tatsächliche Energieverbrauch ist, lässt sich nur abschätzen. „Wir sind komplett im Blindflug“ sagt Braune über die derzeitigen wirklichen Emissionen im Gebäudesektor. „Da sind andere Länder schon viel weiter.“ Deutschland besitzt keine zentrale Energieausweis-Datenbank und ist damit eines von wenigen Ländern in Europa. „So kann man nicht planen, reagieren und Erfolge kontrollieren“ meint die Umweltingenieurin. DUB, BAK und DGNB mahnen, dass die Zeit drängt. Ein Drittel der klimaschädlichen CO2-Emissionen in Deutschland werde durch den Betrieb von Gebäuden verursacht. Das Sanierungstempo ist katastrophal langsam. Deshalb fordern die drei Organisation die Sanierung des Gebäudebestands hin zu einem in Summe klimaneutralen Betrieb aller Gebäude. Um das zu erreichen, wurde die Formel 1-1-100-100 aufgestellt. Das bedeutet
- Ab 2025: 1 Million klimaneutrale Sanierungen jährlich
- Bis 2025: min. 1 Million kostenfreie Sanierungsfahrpläne mit Ziel Klimaneutralität, bis 2030 für alle Gebäude
- Bis 2025: 100 % Transparenz über Energiebedarf aller Gebäude
- 100 Tage Zeit für neue Weichenstellung für klimazielkonformes Gebäudeenergiegesetz (GEG) und Bundesförderung Effiziente Gebäude (BEG)
Mit den Sanierungen sollte laut Frau Braune sofort begonnen werden, denn „das eigentliche Problem ist nicht zu sanieren.“ Klimaschützende Sanierung muss nicht klimaneutral sein, aber mindestens einen Klimaschutzfahrplan vorweisen. „Effektives Handeln in dieser Dekade ist entscheidend“ verdeutlicht Frau Braune.
Carbonbeton als leichtere Alternative für die Sanierung
Auch mit alternativen Baustoffen können Anreize für eine Sanierung geschaffen werden. Eines dieser ist Carbonbeton. Damit können Gebäude saniere werden, die mit klassischem Stahlbeton nicht zu sanieren sind. Auch eine Preisreduktion der Sanierungsmaßnahmen ist möglich. Grund dafür ist der Aufbau des Carbonbetons aus nicht rostenden Carbonfasern und Beton. Die Bewehrung aus Carbon kann dabei genauso als Stab oder Gitter eingesetzt werden wie Stahl. Die hohe Widerstandsfähigkeit von Carbon ermöglicht eine dünnere Betondeckung. Diese ist bei Stahlbeton dicker, um Stahl vor Korrosion zu schützen. Die dünne Betondeckung wirkt sich vor allem bei der Sanierung vorteilhaft aus. So können z. B. alte Betondecken oder Brücken, die bei einer Sanierung mit Stahlbeton nicht mehr tragfähig wären, durch den leichteren Carbonbeton gerettet werden. Und das bei vergleichbaren statischen Eigenschaften. Schon eine Lage Carbon kann die Kraftaufnahme massiv erhöhen. Im Workshop des Klimaforum Baus stellte Alexander Schumann Projekte vor, bei denen die Vorteile von Carbonbeton gut genutzt werden konnten. Herr Schumann arbeitet bei Carbocon, ein Dresdner Unternehmen was auf die Planung, Beratung und Ausführung von Carbonbeton-Projekten spezialisiert ist.
Hyparschale in Magdeburg zeigt Chancen von Carbonbeton
Eines der vorgestellten Projekte war die Hyparschale in Magdeburg. Die Standsicherheit des Gebäudes sollte 50 % erhöht werden. Zunächst plante man die Sanierung mit konventionellen Spritzbeton. Auf der Ober- und Unterseite sollte das Dach um je 7 cm verstärkt werden. Dadurch wäre die ursprünglichen Dicke von 5-7 cm auf 19-21 cm erhöht worden mit entsprechender Steigerung des Eigengewichts. Aufgrund dessen entschied man sich für Carbonbeton. Mit der Verwendung des neuen Baustoffes wurde nun auf jeder Seite nur eine Verstärkung von je 1 cm benötigt. Dafür wurde die Oberfläche mit einem Sandstrahler zunächst aufgeraut und vorgenässt. Im Anschluss wurde Feinbeton in einer Dicke von 5 mm aufgetragen. Darin wurde die Carbonfasermatte eingelegt und mit einer weiteren 5 mm dicken Feinbetonschicht abgedeckt. Die Verstärkung mit Carbon ermöglichte eine Ressourceneinsparung von 85 % und eine CO2-Einsparung von 52 % verglichen mit einer Sanierung mit Stahlbeton.
Vorzüge und Tücken des Carbonbetons
Neben den Einsparungen der Ressourcen und Emissionen wird die Arbeit für die Handwerker:innen erleichtert. Statt mit schweren Stahlbetonmatten kann mit leichten Carbonbetonbewehrungen gearbeitet werden, was zu einer Verkürung der Verbauzeit führt. Laut Alexander Schuhmann ist das Arbeiten mit Carbonbeton nach einer 2-tägigen Einweisung möglich. Jedoch ist für jedes Projekt immer noch eine Zertifizierung notwendig. Schaut man sich die derzeitigen Kosten an, so ist Carbonbeton vergleichbar mit Stahlbeton. In der anschließenden Fragerunde des Workshops wurde noch einmal auf das Thema der Recyclingfähigkeit eingegangen. Herr Schuhmann berichtete, dass im Rahmen von Experimenten eine Trennung des Carbons vom Beton zu ca. 90 % möglich war. Zukünftige Forschungsprojekte seien schon in Planung und bewilligt.
Fazit
Abschließend lässt sich sagen, dass es Vereinfachungen in den Prozessen, Fördermöglichkeiten und Zulassungen von neuen Baustoffen erfordert, um zukünftig die Sanierungsrate zu erhöhen. Abänderungen der Bauordnungen für die Arbeit im Bestand, könnten Abhilfe schaffen. Auch der wirtschaftliche Faktor sollte nicht unterschätzt werden, weshalb eine höhere Förderung von Sanierungsmaßnahmen dringend notwendig wird. Laut den Teilnehmenden des Workshops sollten die Risiken von Experimenten, wie z.B. mit Carbonbeton auch von der öffentlichen Hand angenommen bzw. eingegangen werden. Vorschläge wie die 1-1-100-100 Formel müssen in der Politik besprochen und diskutiert werden, um sinnvolle Maßnahmen hin zu einem klimaneutralen Gebäudebestand zu ermöglichen. In der Sanierung liegt der größte Klimahebel. Wenn die schon bestehenden Gebäude sinnvoll energetisch saniert werden, ist eine große CO2-Reduktion möglich.