Nachhaltig zu bauen – zum Beispiel in Holz – ist teu(r)er; die konventionelle Stahl-Beton-Bauweise ist die wirtschaftlichste – oder etwa nicht? Die Binsenweisheit der Baubranche hemmt Bauherr:innen und Investor:innen, sich auf klimafreundlichere Materialien und Bauweisen einzulassen. Grund genug, uns in einem ersten Fach-Workshop gemeinsam mit Experten der Kostenfrage zu widmen. Praxisbeispiele, Forschungsprojekte und die Diskussion mit einem breiten Teilnehmerfeld brachten spannende Erkenntnisse.
Unzureichende Informationen zu Investitionskosten
Es ist ein beharrlicher Vorbehalt, der das nachhaltige Bauen für viele Investor:innen und Bauherr:innen von Vornherein wirtschaftlich unattraktiv erscheinen lässt und damit den so wichtigen Wandel der Branche hemmt: Im Zuge unserer initialen Markterkundung und der ersten Expert:inneninterviews wurden als eines der wesentlichen Hemmnisse immer wieder die vermeintlich höheren Investitionskosten für klimagerechte Bauweisen wie etwa den Holzbau benannt. Gleichzeitig bestätigten die Gesprächspartner:innen jedoch, dass dazu eigentlich zu wenige Informationen am Markt verfügbar sind. Schließlich ist schon der Entwurf für einen Gegenversuch bekanntlich kein einfaches Rechenspiel, sondern würde nicht unerhebliche Planungskosten verursachen.
Um dieses Informationsdefizit anzugehen, widmeten wir uns am 2. Juni 2021 in einem dreistündigen Online-Workshop erstmalig der Frage: “Sind die Investitionskosten für klimagerechte Bauweisen grundsätzlich höher? Und wenn ja, wie viel eigentlich tatsächlich?” Mit Unterstützung von drei Experten und im Austausch mit verschiedenen Marktakteur:innen wollten wir verfügbare Informationen zu den Baukosten zusammentragen und diskutieren. Eingeladen waren Vertreter:innen der Städte Dresden, Leipzig und Chemnitz, der Architektenkammer, Investor:innen und Projektentwickler:innen, private Bauherr:innen, Architektur- und Ingenieurbüros sowie Wissenschaftler:innen.
Entwicklung der Baustoffpreise
Nach der Begrüßung und Kurzvorstellung der rund 40 Teilnehmenden eröffnete Thomas Henkel, Geschäftsführer der THE-C2 GmbH – the climate compass sowie der hpm Henkel Projektmanagement GmbH, die Veranstaltung. Der Mitinitiator der Innovationsplattform Klimaforum Bau stellte zunächst die Ausgangslage und Motivation des Forschungsprojekts sowie die Ziele der Veranstaltung vor. Anschließend leitete er die Kostenthematik mit einem Blick auf die derzeitige Entwicklung der Baupreise ein. So stieg in Sachsen der Baupreisindex für gewerbliche Betriebsgebäude in den vergangenen fünf Jahren um rund 19 Prozent, im Straßenbau sogar um 24 Prozent. Das liegt nicht nur an den gestiegenen Arbeitskosten, sondern vor allem auch an der Entwicklung der Baustoffpreise. Gerade in den vergangenen Monaten waren bei vielen Materialien wie Holz oder Stahl extreme Preissteigerungen wahrzunehmen.
Mehrkosten oder Kostenexplosion – auf professionelle Kostenplanung kommt es an
Aufgrund der Material-Mehrkosten klimagerechtes Planen und Bauen zu vernachlässigen, stünde jedoch in keinem Verhältnis, betonte Henkel. Der Unikat-Charakter und das komplexe Geflecht von Faktoren und Rahmenbedingungen im Bau führe immer wieder zu Projekten mit aufsehenerregenden „Kostenexplosionen“. Würde stattdessen schon in frühen Phasen eine professionelle Kostenplanung vorgenommen, dann seien die Mehrkosten für den Einsatz klimafreundlicherer Materialien oder Technologien vergleichsweise gering. Zudem dürfte der Kostenvergleich nicht ungeachtet eines ökobilanziellen Vergleiches stattfinden. So zeigte Henkel anhand eines seiner betreuten Projekte, dass eine optimierte Bauweise mit Decken aus Spannbetonhohldielen und Obergeschossen mit Außenwänden in Holzbau 14 Prozent Treibhausgasemissionen gegenüber der konventionellen Bauweise einsparte, jedoch nur 2 Prozent Mehrkosten verursachte.
Ökologische Bauweisen mit Wohlfühlfaktor
Als erster Gastreferent sprach anschließend Dipl.-Ök. Ulrich Steinmeyer, Vorstand der Ökoplus AG und u.a. Mitgründer des Norddeutschen Zentrums für nachhaltiges Bauen (NZNB). In seinem Vortrag ging er auf die Bedeutung und die Kosten des ökologischen Bauens ein. Im ersten Teil präsentierte er den Teilnehmenden praktische Einblicke in seine Erfahrungen mit verschiedenen ökologischen Bausystemen wie Strohballenbau, Steko-Holzbau sowie verschiedene Haustechnik-Anlagen. Anhand zahlreicher Fotos erläuterte er die Funktionsweisen der Systeme.
Zunächst demonstrierte Steinmeyer eine Bauweise mit Strohballen, die zwischen vorgefertigten Holzelementen Platz fanden. Abgeschlossen wurde die Fassade durch einen mehrschichtigen Kalkputz außen, innen wurde Lehmputz auf eine Wandheizung aufgetragen. Die Böden des Gebäudes bestehen aus Massivholz in den Wohnräumen und Linoleum in den Bädern, für die Fenster und Treppen kam ebenfalls Holz zum Einsatz. Als zweites Beispiel für ökologisches Bauen stellte Steinmeyer die Steko-Modulbauweise vor. Dieses System besteht aus Holzbausteinen, welche innen hohl sind und übereinandergestapelt werden. Im Anschluss werden in die gebliebenen Hohlräume mit Dämmung aus Zellulose gefüllt und außen eine Luftdichtungsebene und Fassadendämmung aufgebracht. Die Fußböden bestehen aus Vollholzboden mit einer Holzunterkonstruktion und Zellulosedämmung. Im Innenraum wurden die Wände mit Lehmbauplatten verdeckt, in denen auch teilweise Wandheizungen untergebracht waren. Das verbessert sowohl das Raumklima als auch den Schallschutz.
Im Bereich der Haustechnik nutzt Steinmeyer verschiedene Anlagenkombinationen für die Wärmeerzeugung, um den KfW 40+ Standard zu erreichen. Dazu gehören zum Beispiel ein Pellet- oder Holzofen in Kombination mit Solarthermie oder eine große PV-Anlage mit Wärmepumpe. Zusätzlich wurden Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung eingebaut. Mit den vorgestellten Bauprojekten war es Steinmeyer möglich, Vergleiche zu konventionellen Bauweisen zu ziehen.
Klimarelevanz des Bauens
Das Strohballenhaus schnitt in der Ökobilanzberechnung erwartbar positiv ab: Es benötigt über 50 Jahre nur gut die Hälfte der gesamten Primärenergie (nicht erneuerbar, PENRT) im Vergleich zur konventionellen Massivbauweise. Bemerkenswert ist dabei, dass der Massivbau mit moderner Haustechnik in der exemplarischen Rechnung zwar zunächst rund 86 Prozent der Betriebsenergie einspart, Produktions- und Wartungsenergie aber steigen. Erst durch die Strohballenbauweise kann auch die Bauenergie nochmals halbiert werden. In der Ökobilanzierung des Treibhausgaspotentials zeigte sich der Effekt der Baustoffe gar genauso hoch wie die der regenerativen Haustechnik.
„Nur die Haustechnik zu fördern, heißt auf halbem Wege stehen bleiben“, betonte Steinmeyer daher eindringlich und kritisierte die derzeitige KfW-Förderung als „nicht zielgenau“. Ökologisch zu bauen heißt, neben dem Energieverbrauch auch die Klimabelastung und den Verbrauch an problematischen Rohstoffen über die Bau- und Lebensphase des Gebäudes zu betrachten. Dafür müssten genauso Anreize für nachhaltige Bauweisen geschaffen werden.
Kosten im Neubau: Frage der Region und Konstruktion
Im dritten Teil seines Vortrages zeigte der Ökobau-Experte den Zuhörenden die Baukosten seines vorgestellten Strohballenbaus in Verden. Diese beliefen sich auf ca. 1350 Euro pro Quadratmeter und ließen sich bei den derzeitigen Zinsen mit einer KfW-Förderung und 8 Euro Miete ohne Eigenkapital finanzieren. Um ein Vielfaches größer als der Mehrpreis für ökologische Gebäude seien aber die regionalen Kostenunterschiede, wie Steinmeyer anhand statistischer Daten aufzeigte. „Eigentlich müsste es eine Diskussion über die unterschiedlich hohen Baukosten in den Regionen bzw. Bundesländern geben. Wenn die in Bayern durchschnittlich 40 Prozent höher sind, interessieren mich 5 Prozent Mehrkosten überhaupt nicht“, betonte er.
Es gibt also große Potentiale, CO2 einzusparen ohne große Zusatzkosten. Um seine Erfahrungen zu untermauern, stellte Steinmeyer abschließend kurz die Studie „Lebenszyklusanalysen von Wohngebäuden“ von Holger König für das Bayerische Landesamt für Umwelt vor. Darin modellierte, berechnete und verglich der Autor ein zweigeschossiges Einfamilienhaus mit einer Bruttogrundfläche von 185 bis 200 Quadratmetern in 72 Varianten: sechs unterschiedliche Bauweisen, drei verschiedene energetische Niveaus und vier verschiedene Heiztechniken. Bei einer Lebenszyklusanalyse mit Bauphase und 50 Jahren Nutzungsphase kam die Studie zu dem Ergebnis, dass es bei gleicher Gebäudegestaltung und vergleichbarem Energiestandard keine relevanten Kostenunterschiede gebe, weder in der Bauphase noch über die gesamte Zeit.
„Ökologisches und bezahlbares Bauen ist möglich“
…, resümierte Steinmeyer letztlich. Neben der Nutzungsphase hat die Bauphase einen erheblichen Einfluss auf den „ökologischen Fußabdruck“ des Gebäudes im Lebenszyklus. Die Bauphase werde daher in Zukunft viel stärker in den Vordergrund treten als bisher. Die Kosten für eine ökologische Bauweise seien dabei nicht relevant höher als bei einer konventionellen Bauweise – vielmehr spiele es eine Rolle, wo man baut. Auf die Nachfrage aus dem Publikum, ob es Hemmnisse zum Beispiel durch die Bauordnung gab, die beseitigt werden könnten, ergänzte Steinmeyer, dass die Umsetzungsschwierigkeiten bei ökologischem Bauprojekten eher im Bereich der Ausbildung lägen. Diese müsste dringend angepasst werden, da das Knowhow fehle. Er fordert deshalb einen Schwerpunkt „nachhaltiges Bauen“ in Architektur- und Planer-Studiengängen.
Neustart des Denkens von Gebäuden und der Baukultur notwendig
Im zweiten Vortrag unseres Workshops „Kosten des klimagerechten Bauens“ stellte Dipl.-Ing Arch. Jeroen Meissner die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Gebäudeprinzip Woodscraper“ in Wolfsburg vor. Als Mitarbeiter bei Partner und Partner Architekten leitete er das DBU-Forschungsprojekt zur „Entwicklung einer Strategie zur wirtschaftlichen Errichtung ressourcenpositiver Gebäude“. Zu Markenkern und Philosophie des Büros gehören das Bauen mit Holz nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip sowie die Erforschung und Entwicklung des zirkulären Bauens.
Einleitend stellte Meissner kurz den historischen Wandel des Bauens dar, vom ressourcenschonenden Lehm- und Fachwerkbau hin zum „Verbund, Verkleben, Vernichten“. Dieses lineare Wirtschaftsmodell, in dem Ressourcen nach ihrer Erstverarbeitung und Nutzung nur noch als Abfall entsorgt werden (können), sei ein elementarer Treiber für die vier großen Herausforderungen im Bausektor: Ressourcenverknappung, Klimawandel, Bevölkerungswachstum bzw. Urbanisierung und Flächenverbrauch. Die schwerwiegenden globalen Umweltauswirkungen erfordern ein Neustart des Bausektors. In einer „Circular Economy“ (Kreislaufwirtschaft) böten der solare Energieeintrag und die europäischen Holzvorkommen ausreichend Potenzial.
Flexible Gebäudestrukturen vereinfachen spätere Umnutzung
Doch einfach wird dieser Transformationsprozess nicht. „Das Bauen ist wesentlich komplexer geworden”, gab Meissner zu bedenken. Es seien immer mehr Expert:innen notwendig, sowie Normen und Richtlinien zu beachten. Dass es dennoch möglich und sogar rentabel ist, sollte das Woodscraper-Projekt beweisen. Mit Hilfe flexibler Strukturen versuchten die Architekt:innen zunächst, ein möglichst kompaktes Volumen städtebaulich zu verfeinern. Optimierte Deckenraster, Schallentkopplung und vorgefertigte Module – zum Beispiel ganze Bäder – sorgen für flexible Gebäudestrukturen, die später noch um- und nachnutzbar sind. Zudem beschleunigen sie den Bauprozess erheblich.
Die Wände des Woodscraper wurden aus leimfreiem Massivholz, Innenwände aus einem Strohtrockenbau mit gepressten Strohplatten geplant. Beim Boden entschied man sich für einen trockenen Aufbau. Viele Holzflächen bleiben beim Woodscraper sichtbar. Auswirkungen auf dem Brandschutz hätte dies allerdings nicht, im Gegenteil: Die sichtbaren Holzflächen „waren der örtlichen Feuerwehr sogar lieber, um keine schwelenden Brände zu riskieren”, berichtete Meissner. Alle Teilmodule des Woodscraper sind demontierbar, das ermöglicht die zukünftige Neukonfiguration des Gebäudes. Dazu gehört auch reversible Heiztechnik in Form von Infrarotheizungen, die an den Wänden angebracht werden. In Bezug auf zukünftige Energiequellen für Gebäude prognostizierte Meissner eine dezentralere Verteilung.
Ökobilanzierung und Kostenvergleich über drei Varianten
Schließlich widmete sich Meissner den bilanziellen Untersuchungen des Gebäudes. Dabei wurden drei Varianten rechnerisch miteinander verglichen: Der Holzbau in seiner optimalen Planung, die konventionelle Stahlbetonbauweise sowie ein Hybrid, in dem zum Beispiel Gipskarton- anstelle der Strohtrockenbauwände, konventionelle Heizsysteme, reduzierter Schallschutz und Nass- statt Trockenestrich als Rückfalloptionen einbezogen wurden. Über den Bilanzierungszeitraum von 50 Jahren berechnete das Team sowohl Investitions- und Lebenszykluskosten als auch die Ökobilanzierung:
- Energie- und Stoffflussbilanz mit Ressourcennachweis (inklusive Materialliste), Primärenergienachweis:
- Primärenergiebedarf nicht erneuerbar (PENRT), stofflich und Energie – Verbrauch nicht erneuerbarer Primärenergie (z. B. Erdgas, Erdöl, Kohle)
- Primärenergiebedarf erneuerbar (PERT), stofflich und Energie – Verbrauch erneuerbarer Primärenergie (z. B. Sonne, Wind, Biomasse)
- Wirkungsbilanz mit den sechs üblichen Kriterien:
- Treibhauspotential (GWP) – Beitrag zum Klimawandel (Erderwärmung)
- Ozonabbaupotential (ODP) – Beitrag zum Abbau der Ozonschicht (Ozonloch)
- Ozonbildungspotential (POCP) – Beitrag zur Sommersmogbildung
- Versauerungspotential (AP) – Beitrag zu saurem Regen / Waldsterben
- Eutrophierungspotential (NP) – Beitrag zur Überdüngung (Umkippen von Gewässern etc.)
- Abiotischer Ressourcenverbrauch (ADP) – Reduktion des globalen Bestandes an nicht erneuerbaren Rohstoffen (Metalle, Mineralien, Stein, Kies, Erde etc.)
In Bezug auf den Primärenergiebedarf schnitt die Holzbauweise erwartungsgemäß besser ab als die beiden anderen Varianten. Der Woodscraper benötigt weniger nicht erneuerbare Primärenergie, nutzt dafür mehr erneuerbare. Beim Treibhauspotenzial stellten sich noch deutlichere Unterschiede heraus: Sowohl die Holz- als auch die Hybridbauweise verzeichneten ein negatives Treibhauspotential, dienen also als Speicher. Die konventionelle Bauart dagegen zeigte ein Potential von über 2.000 t CO2-Äq über die Kostengruppen 300-400.
Mehrkosten vs. Minderkosten
Höhepunkt des Vortrags war schließlich der mit Spannung erwartete Baukostenvergleich. Tatsächlich kam das Projektteam für den optimierten Hybridbau auf ca. 15 Prozent Mehrkosten im Vergleich zur konventionellen Bauweise. Hauptverursacher war allerdings weniger der Holzbau, der mit ca. 3 Prozent zu Buche schlug, sondern vor allem Fenster und Türen mit rund 7 Prozent. Demgegenüber stehen allerdings Einsparungen von rund 5,5 Prozent durch eine verkürzte Bauzeit, 5,6 Prozent CO2-Folgekosten sowie 4,8 Prozent Lebenszykluskosten. Unberücksichtigt blieben zudem Kostenminderungen bei Umnutzung, durch kostengünstigeren Rückbau (durch Vermeidung von Kosten für Sondermüll) sowie der Werterhalt und Ertrag der verbauten Ressourcen bei Rückbau.
All das sind Faktoren, die beim heutigen Bauen nicht mitgedacht werden. Meissner fordert daher, Gebäude „vom Ende her zu denken“: Es sollte einen CO2-Pass anstelle des GEG-Nachweises geben, Designs zur Schließung von Stoffkreisläufen entwickelt werden, ein Materialpass erstellt werden und die Folgekosten mit eingepreist werden. Die Kosten müssten ehrlich und ganzheitlich betrachtet werden und die Prämisse sollte sein, so viel wie möglich nachwachsende Rohstoffe, Low-Tech und einfache Bauweisen einzusetzen.
In der anschließenden Fragerunde wurde das Thema des planerischen Mehraufwandes durch solche Konstruktionen angesprochen. Meissner bestätigte, dass schon ab der Leistungsphase 2 an die Kapazitäten gedacht werden müsse. Anfänglich wird es zu deutlichen Mehraufwänden kommen, da vieles neu entwickelt werden muss. Erst wenn es Stand des Wissens und der Technik ist, wird sich das ändern. Auch bei der Frage nach den Voraussetzungen für so detaillierte Vergleiche und Kostenherleitungen wie beim Woodscraper-Projekt blieb Meissner realistisch: Das war nur möglich, weil es ein Forschungsprojekt war.
Investoreninteressen und Rahmenbedingungen am Beispiel der Lingnerstadt
Als dritter Gastreferent kam Dipl.-Ing Architekt und Dipl.-Immobilienökonom (ADI) Jens Timm zu Wort. Er ist im Real Estate Development für den Projektentwickler Gateway Real Estate AG tätig, sein Schwerpunkt liegt in der Quartiersentwicklung. Die seit 2006 auf dem deutschen Wohnungsmarkt aktive Gateway entwickelt Immobilien auch für den eigenen Bestand (build-to-hold), um zukünftig nachhaltige Gewinne zu erwirtschaften. Mit diesem Ziel erwarb der Berliner Projektentwickler Anfang des Jahres Grundstücke des Dresdner Entwicklungsareals Lingnerstadt und kündigte an, mit Holzhäusern ein modernes Stadtquartier mit einem Mix aus Wohnungen, Büros, Praxen, Cafés und Geschäften für die Nahversorgung zu bauen. Vor diesem Hintergrund sprach Timm über Investoreninteressen und Rahmenbedingungen für den Holzbau am Beispiel der Lingnerstadt.
Erfolgsfaktoren für die interdisziplinäre Quartiersentwicklung
Um Quartiersprojekte zum Erfolg zu führen, seien die Faktoren der Urbanität, Mobilität, Konnektivität und Identität von elementarer Bedeutung. Bestehende Insellösungen sollten wirtschaftlich sinnvoll zu einer offenen und skalierbaren Systemlösung verknüpft werden. Dafür braucht es Know-how über die Entwicklung baulicher und technischer Lösungen, kritische Größen der Mobilität und Versorgung sowie eine exzellente Datenlage und Expertise in allen Assetklassen und Lebenszyklen. Im Quartiersmanagement gelte es, Prozesse möglichst intelligent zu verzahnen und smart zu steuern. Nutzungsarten und Wohnformen müssen durchmischt werden genauso wie die Bewohnerstruktur.
Modulbau: Zehn Wohnungen pro Tag
Um diese Anforderungen zu erreichen, müssen auch die baulichen Rahmenbedingungen miteinander verzahnt werden. Dazu zählen Tragkonstruktion, Grundriss und Fassaden genauso wie Grundstücksgegebenheiten, Nachhaltigkeit, Ausbaupaket und Individualfaktoren. Beim Beispiel der Lingnerstadt entschied man sich deshalb für eine Modularität in der Gebäudestruktur. Mit einer Art Baukastensystem ist es möglich, die Grundrisse möglichst variabel zu gestalten. Einzelne Bereiche der Wohnungen, wie die Badzellen, werden schon vorgefertigt angeliefert und eingebaut. Durch den hohen Einsatz von Holz wird bei den Projekten der Gateway Real Estate AG ein Vorfertigungsgrad von 90 Prozent angestrebt. Der Rest muss nur noch vor Ort zusammengesetzt werden. Die Modularität bietet die Möglichkeit, Bauteile am Band zu produzieren und so zehn Wohnungen pro Tag zu fertigen. Die Vorfertigung verkürzt die Bauzeit und reduziert damit die Kosten, erhöht allerdings den logistischen Aufwand.
Wichtigste Einflussfaktoren der Ökobilanz
Der Baustoff Holz ist dabei nicht nur die Antwort auf Ressourcenschutz und Klimawandel, er bietet große planerische Gestaltungsmöglichkeiten, kann höchste Brandschutzanforderungen erfüllen, bietet einen hervorragenden Wärmeschutz und sorgt für ein gesundes Raumklima. In vergleichenden Ökobilanzen stellte Timm heraus, dass der Verbrauch an Primärenergie und das Treibhauspotential der Holzbauweise deutlich vorteilhafter sind als bei der Stahlbetonbauweise. Auch der Transport aus Süddeutschland hätte keinen nennenswerten Einfluss auf die Gesamtbilanz.
Den größten Einfluss auf das Ökobilanzergebnis hätten die Wahl und Menge des Baustoffes, weshalb Gateway auf Holz aus dem internationalen Zertifizierungssystem „Programme for the Endorsement of Forest Certification“ (PEFC) setze. In einer Musterrechnung für ein 5-geschossiges Wohnhaus zeigte Timm schließlich auf, dass allein in Deutschland pro Tag der Bedarf an Konstruktionsvollholz für rund 700 Häuser nachwachse. Die Verfügbarkeit des Baustoffs sollte demnach kein Hindernis sein. „Es fehlt noch an guten Beispielen“, gab Timm im Hinblick auf klimaschonende Holzbau-Quartiere schließlich zu bedenken, ergänzt aber überzeugt: „Aber das wird sich in den nächsten Jahren noch ändern.”
Ressourcen und Perspektive in der Projektentwicklung
In der anschließenden Fragerunde interessierte die Zuhörenden, wie tief Gateway im Wertschöpfungsprozess involviert sei. Timm erklärte, dass der Projektentwickler sowohl eigene Planer:innen als auch ein Holzschneidewerk habe und Betonfertigteile herstellen könne. Durch den hohen Eigenanteil bei der Herstellung sei es ihnen deshalb möglich, günstiger zu bauen. Das gelte allerdings nur ab einer gewissen Projektgröße. Er merkte außerdem an, dass klassische Projektentwickler:innen, die das Gebäude danach verkaufen und nicht selbst betreiben, schwierige Ansprechpartner:innen für solche Projekte seien. Dann komme es auf Investor:innen und deren Überzeugungen an.
Hemmnisse: Genehmigungen und Ausbildung
In der anschließenden Diskussionsrunde tauschten sich die über 40 Teilnehmenden über ihre Erfahrungen und mögliche Hemmnisse aus. Dabei wurden zum einen die schwierigen und kostspieligen Genehmigungsprozesse zum Beispiel für den Holzbau thematisiert. Da es noch keine passende Bauordnung gibt, die das ökologische Bauen umfänglich regelt, stellen die Genehmigungsbehörden oft ein großes Problem dar. Um sich trotz aller Herausforderungen auf das klimagerechte Bauen einzulassen, fehle es an Förderungen als Anreiz.
Ein zweiter wesentlicher Aspekt ist die Ausbildung. Es fehlen die benötigten Fachexpert:innen, die solche Gebäude planen und umsetzen. „Planen Sie in Dresden, Leipzig und Chemnitz je ein größeres Holzbauprojekt, dann ist im übrigen Freistaat kaum noch ein:e Expert:in dafür zu finden“, veranschaulicht Steinmeyer überspitzt. Es fehle zum Beispiel an Prüfingenieur:innen für den Holzbau. Deshalb plädierten viele Teilnehmende dafür, diese Themen besser in Studium und Ausbildung zu verankern und den Nachwuchs so für nachhaltiges Bauen zu sensibilisieren.
Fazit
Die Expertenvorträge zeigten an sehr verschiedenen Projekten anschaulich, dass die Annahme, nachhaltigeres bzw. klimagerechteres Bauen koste mehr als konventionelle Bauweisen, zu kurz greift. Zwar können die Investitionskosten u.a. aufgrund regionaler Unterschiede, der Materialpreise, notwendiger Expert:innen, neuer Planungs- und aufwändigerer Genehmigungsprozesse höher sein. Betrachtet man aber den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes, so zeigen sich in vielen Punkten Einsparungen, die die Bilanz nicht selten umkehren können. Das beginnt schon bei der Reduktion der Bauzeit, geringeren Kosten für Betrieb und Umnutzung, geht weiter über einen höheren Werterhalt, geringere Rückbau- und Entsorgungskosten und schließt letztlich auch die CO2-Folgekosten mit ein. Werden solche Kosten ehrlich und ganzheitlich mit betrachtet, dann sind klimagerechtere Bauweisen wie der Holzbau nicht nur notwendig, sondern auch wirtschaftlich möglich. Hindernisse sind weniger die Kosten, als vielmehr die notwenigen Schritte auf dem Weg der Etablierung, wie etwa Förderanreize für Pionier:innen, Anpassungen der rechtlichen Rahmenbedingungen oder die Verbesserung der Ausbildung.